Gesundheitsindikatoren

Dominik Röding , Miriam G. Gerlich , Ulla Walter

(letzte Aktualisierung am 27.02.2024)

Zitierhinweis: Röding, D., Gerlich, M. G. & Walter, U. (2024). Gesundheitsindikatoren. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i055-3.0

Zusammenfassung

Mithilfe von Gesundheitsindikatoren lassen sich Erkenntnisse über und für die Gesundheit von territorial abgrenzbaren Bevölkerungen (z. B. Länder, Regionen, Kommunen) gewinnen. Als wesentliche Anhaltspunkte werden Demografie, Gesundheitsstatus, Verhalten, Umwelt, Versorgung und verfügbare Ressourcen herangezogen. Ein Indikator muss sowohl wissenschaftlichen Kriterien wie Validität, Reliabilität, Sensitivität und Spezifität als auch ethischen Kriterien genügen. Einheitliche Indikatoren, z. B. für unterschiedliche Regionen oder Zeiträume, erlauben eine vergleichende Analyse. Gesundheitsindikatoren sind die wesentliche Basis der Gesundheitsberichterstattung und dienen der politischen Entscheidungsfindung sowie der Evaluation und Forschung.

Schlagworte

Indikatoren, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitssituation, Public Health, Evidenzbasierte Prävention, Gesundheitsförderung, Qualitätssicherung


Definition, Zweck und Qualität von Gesundheitsindikatoren

Gesundheitsindikatoren sind Kennzahlen zur Gesundheit und im erweiterten Sinn auch zu gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen (Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln) sowie Umweltfaktoren (Umwelt und Gesundheitsförderung) (inkl. Gesundheitswesen) von territorial abgrenzbaren Bevölkerungen und darin unterscheidbaren Bevölkerungsgruppen (PAHO 2018). Sie sollen Informationen darüber liefern, wie sich z. B. die Bevölkerungsgesundheit in einem Land entwickelt oder sich zwischen Ländern zu einem Zeitpunkt oder in ihrer Entwicklung unterscheidet.

Typische Raumbezüge von Gesundheitsindikatoren sind die Bundes-, Länder- und Kommunalebene. Sie bilden die wesentliche Basis für die Gesundheitsberichterstattung (GBE), sollen politische Entscheidungen unterstützen (Evidence based decision-making) und können zur Evaluation von Public Health-Interventionen oder für Forschungszwecke herangezogen werden. Teilweise werden sie gezielt dafür entwickelt, um ein Monitoring von Gesundheitszielen zu ermöglichen.

Ein Indikator muss die messtheoretischen Gütekriterien der Validität (Ausmaß, in dem er das misst, was es messen soll) und Reliabilität (Verlässlichkeit einer Messung) erfüllen und genügend sensitiv sein, um Veränderungen zu erfassen. Darüber hinaus muss er in der Anwendung einfach, verständlich und ethisch vertretbar sein (Starke, Tempel, Butler, Starker, Zühlke & Borrmann 2019).

Gesundheitsindikatoren-Sets

Die Entwicklung von Gesundheitsindikatoren folgt internationalen Standards, die vor allem von den Gesundheitsindikatoren-Sets der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) und der Europäischen Union (EU) geprägt sind und internationale Vergleiche ermöglichen. Die Mitgliedsstaaten haben sich dazu verpflichtet, diese Indikatoren-Sets für ihr Land zu übernehmen (Fehr, Lange, Fuchs, Neuhauser & Schmitz 2017). Zeitreihen dieser Indikatoren-Sets der WHO, OECD und EU stehen der Öffentlichkeit online zur Verfügung. Diese drei Organisationen entwickeln ihre Indikatoren-Sets bei Bedarf weiter, während die Mitgliedsstaaten angehalten sind, diese Weiterentwicklungen zu übernehmen.

In Deutschland richten sich die Bundes- und Länderindikatoren derzeit an der dritten Fassung des Indikatorensatzes für die Gesundheitsberichterstattung der Länder aus (AOLG 2003). Hierbei werden Bundes- und Kernindikatoren, die die Kernindikatoren-Sets der WHO, OECD und EU abbilden und Vergleiche zwischen allen Bundesländern ermöglichen, von Länderindikatoren unterschieden, die in den Ländern ergänzend hierzu geführt werden können. Über www.gbe-bund.de stehen Online-Zeitreihen dieser Indikatoren zur Verfügung. Einige Bundesländer stellen zudem Online-Zeitreihen von Gesundheitsindikatoren auf Kreisebene zur Verfügung (siehe z. B. Gesundheitsatlas Bayern oder Gesundheitsatlas NRW).

Gesundheitsindikatoren lassen sich z. B. nach Themenfeldern klassifizieren:

  • Gesundheitsstatus: Die klassischen Indikatoren der Mortalität und der Morbidität eignen sich zur langfristigen Darstellung der Krankheitsentwicklung, in der Regel jedoch nicht zur Beurteilung kurz- bis mittelfristig angelegter gesundheitsfördernder und präventiver Maßnahmen. Hierzu sind vielmehr intermediäre Parameter erforderlich, die einerseits durch eine Maßnahme selbst beeinflusst werden und andererseits das gesundheitliche Ergebnis hinreichend sicher beeinflussen. Aus dem medizinischen Bereich werden hier physiologische, biochemische oder funktionale Parameter wie Blutdruck, Blutwerte und Hautbild sowie Maße zur Beurteilung der körperlichen und mentalen Funktionsfähigkeit herangezogen. Für die Gesundheitsförderung sind darüber hinaus Indikatoren zur Erfassung der Beeinflussung gesundheitlicher Determinanten und Ressourcen erforderlich. Hierzu bieten sich „subjektive Parameter“ an wie die Gesundheitsbezogene Lebensqualität, die sich in den letzten Jahrzehnten bei der Bewertung der gesundheitlichen Versorgung etabliert hat.
  • Verhaltensweisen/Kompetenzen/personale Ressourcen: Verhaltensmuster, die z. B. durch Protokolle, Beobachtungen oder Selbsteinschätzungen ermittelt werden, liefern Aussagen zur Gesundheitsorientierung bzw. zu verhaltensbezogenen Risiken. Ein wichtiger Bereich für die Gesundheitsförderung ist die Entwicklung der Kompetenz im Sinne des Empowerments (Empowerment/Befähigung). Hierzu liegen eine Reihe von insbesondere psychologischen Konzepten und Indikatoren vor, die sich auf personale Ressourcen sowie Bewältigungs- und Gesundheitspotenziale (Stress und Stressbewältigung) beziehen. Ein wichtiger Bereich für die Gesundheitsförderung ist zudem die Entwicklung der Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung im Sinne des Empowerments. Auch hierzu liegen verschiedene insbesondere psychologische Konzepte und Indikatoren vor, die personale Ressourcen (Resilienz und Schutzfaktoren) sowie Bewältigungs- und Gesundheitspotenziale berücksichtigen.
  • Umwelt: Indikatoren, die den Einfluss der physikalisch-chemischen Umwelt bzw. des sozialen Umfelds erfassen, können sich z. B. auf Wohnbedingungen, Schadstoffbelastung, aber auch auf soziale Unterstützung beziehen. Während sich gesundheitliche Expositionen oder gesundheitsfreundlichere Entwicklungsstrukturen z. B. am Arbeitsplatz quantitativ bzw. qualitativ noch erheben lassen, kann die Beeinflussung sozialer Umwelten im Großen, z. B. der Politik und deren Niederschlag in gesetzlichen Regelungen, oft schwer erhoben werden. Ein Beispiel für einen erfolgreichen Versuch, internationale Politik zu erfassen und zu vergleichen ist die „Tobacco Control Scale“, die u. a. die Besteuerungspolitik von Tabakprodukten, Werbeverbote, Verbraucherinformationen und Behandlungsmöglichkeiten betrachtet.
  • Kosten: Leistungen der gesundheitlichen Versorgung können – zumindest in den Bereichen der kurativen, rehabilitativen und pflegerischen Versorgung – teilweise über die Daten der Leistungsinanspruchnahme, die sogenannten Routinedaten, der Sozialversicherungen erhoben werden. Hierzu zählen u. a. medikamentöse, ambulante und stationäre Versorgungsdaten. Routinedaten stellen ein großes Potenzial für Kosten-Nutzen-Bewertungen dar. Auch im Bereich der Gesundheitsförderung ist die Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme zunehmend eine relevante Dimension. Um die Effizienz von Gesundheitsförderung und Prävention beurteilen zu können, genügt es nicht, allein die Programmkosten zu bestimmen. Der potenzielle Erfolg von Interventionen drückt sich – ökonomisch – auch in Einsparungen bei direkten Folgekosten wie z. B. stationären Aufenthalten und Medikamentenkonsum aus. Theoretisch sollten diese Wirkungen bis zum Lebensende berücksichtigt werden. Indirekte Kosten entstehen z. B. durch Arbeitsausfall aufgrund von Erkrankung (Arbeitsunfähigkeit, Berufs-/Erwerbsunfähigkeit) und vorzeitigem Tod. Darüber hinaus sollten auch – die methodisch aufwendig zu erfassenden – intangiblen (nicht in Geld messbaren) Kosten ermittelt werden, die durch eine Erkrankung entstehen können. Darunter fallen gesundheitliche Einschränkungen wie z. B. psychische Belastungen, Angst, Schmerz oder ganz allgemein ein Verlust an Lebensqualität.
  • Zugangswege:Eine bislang eher vernachlässigte Bewertungsdimension für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung ist die Beurteilung der Zugangswege zur Zielgruppe hinsichtlich der Inanspruchnahme und der Effektivität der gesundheitsbezogenen Outcomes. Grundlage für die Erreichung von (Teil-)Populationen ist die sorgfältige Beschreibung der Zielgruppe hinsichtlich ihrer Struktur sowie ihrer Bedürfnisse. Durch die Umsetzung des Präventionsgesetzes gewinnen diese Aspekte zunehmend an Bedeutung.
  • Strukturbildung:Ein vergleichsweise neuer Parameter ist die Strukturbildung. Als Indikator für die Dauerhaftigkeit angestoßener Entwicklungen gilt das sogenannte Capacity Building/Kapazitätsentwicklung, das sich im Wesentlichen auf die Bildung und Entwicklung von Strukturen und Kompetenzen für eine wirksame Prävention und Gesundheitsförderung bezieht. Es beinhaltet zudem die Nutzung und Mobilisierung geeigneter Ressourcen und Kooperationsstrukturen sowie die Entwicklung adäquater Strategien zur Umsetzung und Implementierung von Maßnahmen.
  • Service- und Marketing: Hier ist die Zufriedenheit der Zielgruppe ein wichtiges Kriterium. Sie sollte jedoch nicht als alleiniger Indikator für den Erfolg einer Maßnahme gewertet werden.

Jüngere Entwicklungen und Neuerungen

Zu den aktuell wichtigsten internationalen Neuerungen im Bereich der Gesundheitsindikatoren gehört, dass die WHO-Kernindikatoren 2018 modifiziert und erweitert wurden, um die Gesundheits- und gesundheitsrelevanten Indikatoren des Indikatoren-Sets der Sustainable Development Goals zu integrieren (WHO 2018). Zudem wurden in Europa einige wichtige neue Indikatoren-Sets und dazugehörige Online-Portale aufgebaut, die (noch) nicht in die oben genannten Gesundheitsindikatoren-Sets integriert sind, wie z. B. das European Human Biomonitoring, das European Mortality Monitoring, der Global Digital Health Monitor oder die Tobacco Control Scale. Ferner ermöglicht die Digitalisierung zunehmend eine Datenintegration neuer Qualität, in der neuartige Gesundheitsindikatoren basierend auf z. B. Mobilfunkdaten, Daten aus sozialen Medien, Biodatenbanken, Satelliten- oder sonstigen Sensordaten entwickelt werden können (Brockmann 2020).

Abschließend ist in diesem Zusammenhang auf die Plattform Our World in Data hinzuweisen, die das derzeit weltweit umfangreichste Angebot an ländervergleichenden Gesundheitsindikatoren gut aufbereitet zur Verfügung stellt und diesbezüglich am schnellsten wächst. In der Public Health-Forschung und der Evaluation von Public Health-Interventionen werden zunehmend Daten genutzt, die von dieser Plattform zur Verfügung gestellt werden.

Wichtige Neuerungen in Deutschland sind die Entwicklung eines Präventionsindikatorensatzes (UAG Präventionsindikatoren 2021) sowie im Rahmen der COVID-19-Pandemiebekämpfung die Entwicklung von Mobilitätsindikatoren auf Basis von Mobilfunkdaten und weiterer spezifischer Indikatoren, die über die Corona-Datenplattform abrufbar sind. Zudem werden in Deutschland zunehmend kleinräumige Indikatoren-Sets entwickelt und erprobt. Hierzu gehören der StadtRaumMonitor, der Communities That Care Survey sowie die Portale Wegweiser Kommune, KECK-Atlas und SDG-Portal. Kleinräumige Indikatoren aus dem Bereich Gesundheit und SDGs können außerdem über das INKAR-Portal abgerufen werden.

Fazit: Was können Gesundheitsindikatoren leisten?

Gesundheitsindikatoren erfassen nicht nur Informationen zum Gesundheitszustand, sondern ebenso zum Gesundheitsverhalten, zur Verfügbarkeit von Angeboten und deren Nutzung, zu Gesundheitskosten und zur Qualität der angebotenen Leistungen. Die vergleichende Analyse der Daten soll zu einer Verbesserung der Sicherheit und Qualität von Gesundheitsdienstleistungen beitragen und ist daher handlungsorientiert ausgerichtet. Geeignete Gesundheitsindikatoren sind damit auch wesentlich für Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung und Qualitätsmanagement.

Ihre systematische Erfassung und die Möglichkeit der vergleichenden Analyse können genutzt werden, um Optimierungsmöglichkeiten herauszuarbeiten und zukünftige Strategien zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung bzw. von Teilgruppen zu entwickeln. (Gesundheits-)Indikatoren sind zudem in der Bewertung der nachhaltigen Wirksamkeit von Interventionen relevant, wobei ausgewählte Indikatoren als Prädiktoren für Erfolge und Misserfolge eingesetzt werden können.

Mit all diesen Möglichkeiten leisten Gesundheitsindikatoren einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Forschung insbesondere auch im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention. Dabei stellen die Identifikation und Entwicklung geeigneter Indikatoren selbst wichtige Schritte dar.

Literatur:

AOLG − Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (2003). Indikatorensatz für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen: Bielefeld.

Brockmann, D. (2020). Digitale Epidemiologie. Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 63, S. 166–175. doi.org/10.1007/s00103-019-03080-z.

Fehr, A., Lange, C., Fuchs, J. Neuhauser, H. & Schmitz, R. (2017). Gesundheitsmonitoring und Gesundheitsindikatoren in Europa. Journal of Health Monitoring 2(1): S. 3–23. doi: 10.17886/RKI-GBE-2017-004.2ISSN 2511-2708.

PAHO − Pan American Health Organization (2018). Health Indicators. Conceptual and operational considerations. Washington, D.C.: PAHO.

Starke, D., Tempel, G., Butler, J., Starker, A., Zühlke, C. & Borrmann, B. (2019). Gute Praxis Gesundheitsberichterstattung – Leitlinien und Empfehlungen 2.0. Robert Koch-Institut. Journal of Health Monitoring 4(S1): S. 2−22. https://doi.org/10.25646/6058.

UAG − Präventionsindikatoren der Arbeitsgruppe Gesundheitsberichterstattung, Prävention, Rehabilitation und Sozialmedizin (AG GPRS) der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) (Hrsg.) (2021). Entwicklung eines Indikatorensystems für die Präventionsberichterstattung der Länder. DOI:10.13140/RG.2.2.35066.77769.

WHO − World Health Organization (2018). 2018 global reference list of 100 core health indicators (plus health-related SDGs). Geneva, Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.

Verweise:

Capacity Building / Kapazitätsentwicklung, Empowerment/Befähigung, Evaluation, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsbezogene Lebensqualität, Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln, Gesundheitsziele, Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, Präventionsgesetz, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement, Resilienz und Schutzfaktoren, Stress und Stressbewältigung, Umwelt und Gesundheitsförderung