Umweltgerechtigkeit

Christiane Bunge , Christa Böhme

(letzte Aktualisierung am 15.02.2024)

Zitierhinweis: Bunge, C. & Böhme, C. (2024). Umweltgerechtigkeit. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i136-4.0

Zusammenfassung

Umweltgerechtigkeit zielt darauf ab, eine Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen wie Lärm oder Schadstoffe in der Luft in sozial benachteiligten Quartieren und Wohnlagen zu vermeiden oder abzubauen. Ebenso geht es darum, den Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang zu gesundheitsbezogenen Umweltressourcen wie z. B. Grün- und Freiflächen zu ermöglichen. Das Thema Umweltgerechtigkeit ragt in viele Politik- und Interventionsfelder hinein und hat Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Strategien und Konzepten: von der nachhaltigen Stadtentwicklung über kommunale Klimaschutzkonzepte sowie Gesunde und „Soziale Stadt“ bis hin zur soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention.

Schlagworte

Umweltgerechtigkeit, Gesundheit, soziale Benachteiligung, Kommune


Umweltgerechtigkeit behandelt Fragen der sozialen und sozialräumlichen Verteilung von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen (u. a. Lärm, Luftbelastungen) und gesundheitsfördernden Umweltressourcen (u. a. Grünflächen, Parks) (Ökologische und humanökologische Perspektive). Forschung und Praxis zu Umweltgerechtigkeit führen die Themen Umwelt, Gesundheit und soziale Lage zusammen und schließen an den Public Health-Diskurs (Gesundheitswissenschaften/Public Health) zu gesundheitlicher Ungleichheit an (Soziale Ungleichheit und Gesundheit).

Die Wurzeln des deutschen Begriffs Umweltgerechtigkeit liegen in den USA. „Environmental justice“ wurde in den frühen 1980er Jahren in den USA zunächst im Rahmen von lokalen Protestbewegungen – allen voran afro-amerikanische Bürgerrechtsgruppen – gegen den Bau von Mülldeponien und andere die Umwelt belastende Industrieansiedlungen geprägt. Etwa seit Anfang der 2000er Jahre gewann die Übersetzung Umweltgerechtigkeit dann auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung.

Definition

Umweltgerechtigkeit integriert ein „Verständnis von Umwelt als Risiko über die Nutzungschancen von Umwelt als Ressource bis hin zur gerechten beziehungsweise ungerechten Verteilung der Vor- und Nachteile, die aus der Umweltnutzung hervorgehen“ (Bolte, Bunge, Hornberg, Köckler & Mielck 2012, S. 23). Häufig wird anstatt von Umweltgerechtigkeit auch von Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit oder umweltbezogener Gerechtigkeit gesprochen.

Im deutschsprachigen Raum wird Umweltgerechtigkeit als ein normatives Leitbild verstanden. Zentrales Anliegen ist es, dort umweltbezogene gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden oder zu beseitigen, wo sich Benachteiligungen mit Blick auf Umweltqualität sowie gesundheitliche und soziale Lage räumlich konzentrieren und überlagern. Auch gilt es, bestmögliche umweltbezogene Gesundheitschancen für alle herzustellen. Auf Basis des Sozialstaatsprinzips und des Gleichheitsgrundsatzes werden damit die klassischen Ziele des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes im Sinne der Vermeidung oder Beseitigung von Umweltbelastungen mit dem Ziel eines sozial gerechten Zugangs zu einer möglichst gesunden Lebensumwelt verbunden (Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung).

Dimensionen von Umweltgerechtigkeit

Drei Dimensionen von Umweltgerechtigkeit können nach Maschewsky (2008) unterschieden werden:

  • Verteilungsgerechtigkeit: gerechte bzw. faire Verteilung von (nicht vermeidbaren) Umweltbelastungen, aber auch von Umweltressourcen;
  • Zugangsgerechtigkeit: gleichberechtigter Zugang zu Umweltressourcen;
  • Verfahrensgerechtigkeit: gleiche Möglichkeiten der (aktiven) Beteiligung an Informations-, Planungs-, Anhörungs- und Entscheidungsprozessen für alle unmittelbar von umweltbezogenen Interventionen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern.

Wichtig zu beachten ist, dass sich Umweltgerechtigkeit inhaltlich von „umweltgerecht“ unterscheidet. Letzteres wird im Sinne von „umweltverträglich“ verwendet und beschreibt das Verhältnis zwischen menschlichen Handlungs- und Produktionsweisen und der Umwelt. Der Begriff „umweltgerecht“ trifft insofern Aussagen über die vom Menschen ausgelösten Wirkungen auf die Umweltmedien (Wasser, Boden, Luft/Klima).

Modelle zum Zusammenhang von Umwelt, Gesundheit und sozialer Lage

Zahlreiche theoretische Modelle fokussieren auf die Bedeutung der Umwelt für den Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit und betrachten dabei sowohl materielle als auch psychosoziale Faktoren aus der natürlichen und der gebauten Umwelt (Determinanten von Gesundheit). Danach lässt sich die Beeinflussung der Gesundheit durch die soziale Lage zum einen durch soziale Unterschiede in Hinblick auf das Ausgesetztsein gegenüber Umweltbelastungen und zum anderen in Hinblick auf den Zugang zu Umweltressourcen (Expositionsvariation) erklären. Zum anderen werden soziale Unterschiede bei der Anfälligkeit (Vulnerabilität) hinsichtlich der Wirkung von belastenden Umweltexpositionen (Effektmodifikation) in den Blick genommen.

Aufbauend auf verschiedenen sozial- und umweltepidemiologischen Erklärungsansätzen haben Bolte, Bunge, Hornberg, Köckler & Mielck (2012) ein weiteres Modell zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen sozialer Lage, Umweltqualität und Gesundheit entwickelt (Abb. 1).

Dieses Modell stellt die Auswirkungen der sozialen Lage auf die Gesundheit als ein komplexes Zusammenwirken sowohl lokaler, regional-spezifischer Belastungen und Ressourcen als auch individueller Belastungen und Ressourcen dar (Soziale Ungleichheit und Gesundheit). Danach hat die individuelle soziale Lage mit ihrer vertikalen (u. a. Einkommen, Bildung) und horizontalen Differenzierung (u. a. Geschlecht, Alter, Migrationsgeschichte) Einfluss auf die Lebensumwelt und die damit verbundene Exposition gegenüber gesundheitlich relevanten Belastungen (etwa Lärm oder Kriminalität) und ebenso auf den Zugang zu Ressourcen wie öffentliche Grünflächen oder soziale Netzwerke in der Nachbarschaft.

Wie die soziale Lage beeinflussen auch die Belastungen und Ressourcen der lokalen Lebensumwelt die individuelle Exposition und die individuelle Vulnerabilität gegenüber gesundheitsrelevanten Umweltfaktoren. Zu den individuellen Vulnerabilitätsfaktoren zählen psychosoziale Belastungen (u. a. prekäre Arbeitssituation), Ressourcen (u. a. Wissen, Erfahrungen) und das davon beeinflusste individuelle Gesundheitsverhalten. Darüber hinaus spielen die im Modell nicht dargestellten physiologischen Faktoren (u. a. genetische Disposition, Stoffwechsel) eine Rolle. Eine Exposition kann trotz gleicher Intensität zu unterschiedlichen gesundheitlichen Wirkungen führen. Verantwortlich hierfür ist die individuelle Vulnerabilität, die den sogenannten Expositionseffekt modifizieren kann.

Empirische Befunde

Eine erste umfassende Übersicht über empirische Befunde zu sozialen Unterschieden bei den Expositionen gegenüber Umweltschadstoffen in Deutschland lieferten im Jahr 1998 Heinrich, Mielck, Schäfer & Mey. In der Gesamtschau zeigte sich, dass die Wohnbedingungen von Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status mit Blick auf die Umweltqualität schlechter waren als die von Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status.

Empirische Befunde aktueller, vor allem sozial- und umweltepidemiologischer Untersuchungen in Deutschland (u. a. UBA 2024; RKI 2023) belegen ebenfalls die Bedeutung von Bildung, Einkommen und weiteren soziodemographischen Faktoren wie Alter und Migrationshintergrund für die Gesundheit. Sie haben Einfluss sowohl auf die Qualität der Wohnbedingungen als auch auf Art und Umfang der Umweltexpositionen (z. B. im Wohnumfeld), außerdem auf die damit verbundenen Gesundheitschancen und Erkrankungsrisiken.

Der Zusammenhang zwischen niedrigem Sozialstatus und höheren Umweltbelastungen bildet sich auch räumlich ab. In sozial benachteiligten Stadtquartieren sind Gesundheitsbelastungen durch Umweltprobleme oft besonders hoch. Diese Gebiete sind u. a. durch Lärm, Luftschadstoffe und soziale Problemlagen häufig mehrfach belastet. Zudem sind sie meist auch schlechter mit Grünflächen versorgt (siehe u. a. Modellprojekt „Umweltgerechtigkeit im Land Berlin“) (Urban Health/Stadtgesundheit).

Umsetzung des Ansatzes Umweltgerechtigkeit auf kommunaler Ebene

Um möglichst gleichwertige Umwelt- und Lebensbedingungen für alle sozialen Bevölkerungsgruppen herzustellen, sollten zunächst die Teilräume einer Kommune identifiziert werden, in denen sich umweltbedingte gesundheitliche und soziale Benachteiligungen konzentrieren. Hierfür ist es erforderlich, raumbezogene Daten zu Umweltqualität, gesundheitlicher Lage und sozialen Faktoren zu verknüpfen und kleinräumig abzubilden. Auf dieser Basis können die Verantwortlichen auf kommunaler Ebene Räume und Gebiete identifizieren, in denen die Bevölkerung vielfältigen umweltbedingten Gesundheitsbelastungen ausgesetzt ist. Integrierte Berichterstattungs- und Monitoringsysteme erweisen sich hier als wichtige Steuerungsinstrumente und Grundlage für fachpolitische Entscheidungen und ressortübergreifende Maßnahmen (Gesundheitsberichterstattung).

In Berlin wurde bundesweit erstmalig ein integriertes Stadtbeobachtungssystem („Umweltgerechtigkeitsmonitoring“) entwickelt und implementiert (SenUMVK o. J.). Das Instrument beruht auf der Auswertung und Aggregation von Daten aus dem Umweltatlas (SenSBW o. J.b), der Luftreinhalte- und Lärmminderungsplanung sowie dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung (SenSBW o. J.a). Raumbezogene Daten zur Lärm- und Luftbelastung (Feinstaub, Stickstoffdioxide), zur bioklimatischen Belastung, Grünflächenversorgung und Sozialstruktur werden miteinander räumlich überlagert und in Karten dargestellt. In der Gesamtschau gibt das Instrument Auskunft über die sozialräumliche Verteilung gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen und -ressourcen.

Um Umweltgerechtigkeit als Perspektive systematisch in kommunalen Verwaltungen zu verankern, sollten bereits etablierte Koordinations- und Kooperationsstrukturen sowie vorhandene Instrumente genutzt werden. Vor allem die integrierte Stadtentwicklungsplanung bietet sich für dieses „Andockmodell“ als Trägerstruktur an. Zunehmend wird Umweltgerechtigkeit daher auch als explizites Ziel der Stadtentwicklung festgeschrieben.

Dies zeigt sich insbesondere im Städtebauförderprogramm „Sozialer Zusammenhalt“ (ehemals „Soziale Stadt“)(Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung), das Gebiete mit komplexen Problemlagen und erhöhten Integrationsanforderungen in den Blick nimmt. Investitionen in Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse, des Wohnumfeldes und zur Umsetzung von Grün- und Freiräumen gehören seit vielen Jahren zum Förderkatalog dieses Programms. Um der Reduzierung umweltbedingter Mehrfachbelastungen im Städtebauförderprogramm „Sozialer Zusammenhalt“ noch mehr Gewicht zu verleihen, wurde Umweltgerechtigkeit 2016 explizit in die Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung aufgenommen.

Maßnahmen zur „Erhöhung von Umweltgerechtigkeit“ können so über das Programm „Sozialer Zusammenhalt“ gezielt gefördert werden. Bundesweit sind im Rahmen dieses Förderprogramms bereits vielfältige Ansätze entwickelt und erprobt worden, die u. a. Maßnahmen zum Umwelt-, Natur- und Klimaschutz sowie zur Anpassung an den Klimawandel mit Strategien aktivierender Gesundheitsförderung verbinden (vgl. Böhme, Franke & Gröschel 2023; BBSR & BMUV 2016).

Umweltressourcen und ihre Weiterentwicklung

Der Ansatz Umweltgerechtigkeit nimmt nicht nur gesundheitsrelevante Belastungen in den Blick, es geht auch um Umweltressourcen und deren Weiterentwicklung. Eine wichtige Umweltressource stellen Grün- und Freiräume dar. Sie wirken als klimaökologische Ausgleichsräume, Lärmminderungsräume und Schadstoffsenken. Der Bevölkerung in den Städten dienen sie als Erlebnis-, Begegnungs-, Bewegungs- und Erholungsorte. Wohnortnahe Grünräume in dicht besiedelten Stadtgebieten können zur Prävention von Übergewicht beitragen und zugleich die motorischen Fertigkeiten verbessern. Darüber hinaus fördern urbane Grünräume nachweislich die kognitive und emotionale Entwicklung in den ersten Lebensjahren. Voraussetzung hierfür ist, dass die Grün- und Freiflächen allen Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße zugänglich, nutzbar und von hochwertiger Qualität sind.

Die frühzeitige Einbeziehung aller potenziell von grün- und freiraumbezogenen (Um-)Gestaltungsmaßnahmen betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner bereits in der Planungsphase ist ein entscheidendes Kriterium für Umweltgerechtigkeit. Allerdings ist und bleibt die Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) immer wieder eine große Herausforderung. Benachteiligte Bevölkerungsgruppen werden mit den bislang im Verwaltungshandeln etablierten Beteiligungsformen vor allem aufgrund der gewählten Beteiligungssettings (klassische Informationsveranstaltungen mit Frontalcharakter), kultureller oder Sprachbarrieren kaum oder gar nicht erreicht.

Gleichwohl gibt es zahlreiche gute Beispiele für aktive Bürgerbeteiligung, in denen es im Rahmen umfangreicher generations- und gendersensibler Beteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene gelungen ist, auch beteiligungsferne Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Entwicklungs- und Umgestaltungsprozesse aktiv einzubeziehen.

Ein gutes Beispiel findet sich im Quartier Bülowstraße im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg − ein Fördergebiet des Programms „Sozialer Zusammenhalt“ (ehemals „Soziale Stadt“) (Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin, Abt. Stadtentwicklung und Bauen & AG SPAS 2020, S. 8). In dem mit Grün- und Spielflächen unterversorgten Gebiet wurde in einem umfassenden Beteiligungsverfahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eine wohnungsnahe Spiel- und Aufenthaltsfläche geplant und umgesetzt. Auf dem ehemaligen Parkplatz entstand ein „robuster Park“, der keine umfangreiche und kontinuierliche Pflege erfordert und von unterschiedlichen Zielgruppen genutzt werden kann. Der „Schluchtwaldpark“ besteht u. a. aus einer Spielfläche für Kleinkinder, einem Skater-Areal, einem Basketballfeld und einer Liegefläche. Die Bepflanzung wurde überwiegend von den Anwohnerinnen und Anwohnern übernommen. In die Pflege und den Betrieb des Parks ist ein Projekt des Drogennotdienstes eingebunden, das die Wiedereingliederung von Substituierten in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat.

Umweltgerechtigkeit als Beitrag zur Gesundheitsförderung

Umweltgerechtigkeit ist ein Querschnittsthema, das vor allem die Bereiche Umwelt, Gesundheit/Gesundheitsförderung, Soziales, Verkehr und Stadtentwicklung/Stadt- und Raumplanung betrifft und miteinander verbindet. Das Thema Umweltgerechtigkeit ragt damit in viele Politik- und Interventionsfelder hinein und hat Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Strategien und Konzepten: von der nachhaltigen Stadtentwicklung über kommunale Klimaschutzkonzepte sowie „Gesunde und Soziale Stadt“ bis hin zur soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention. Umweltgerechtigkeit ist damit eingebettet in das Health-in-All-Policies (HiAP)-Konzept (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies [HiAP]), das die Bedeutung der politischen Entscheidungsfindung in den verschiedenen Politikfeldern hervorhebt, die die Gesundheit beeinflussen (Gesundheitsförderung 3: Entwicklung nach Ottawa).

Umweltgerechtigkeit leistet einen wichtigen Beitrag für gesundheitliche Chancengleichheit (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit), indem möglichst gleichwertige Umwelt- und Lebensbedingungen für alle Bevölkerungsgruppen hergestellt werden sollen. Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit zu erzielen, verlangt auf der konzeptionellen Ebene zwischen einer Verbesserung der Lebensweise(n) im Sinne der Verhaltensprävention und einer Verbesserung der Lebensbedingungen im Sinne der Verhältnisprävention zu differenzieren. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig (siehe auch Abb. 1) (Prävention und Krankheitsprävention).

Zudem setzt Umweltgerechtigkeit voraus, dass alle unmittelbar von umweltbezogenen Interventionen betroffenen Bürgerinnen und Bürger gleiche Möglichkeiten der Partizipation an Informations-, Planungs-, Anhörungs- und Entscheidungsprozessen haben (Verfahrensgerechtigkeit). Schließlich ist Umweltgerechtigkeit aufgrund der Vielfalt einzubeziehender Politikbereiche und Akteurinnen und Akteure ein hochkomplexer Prozess, der einer kontinuierlichen und professionellen Koordinierung bedarf.

Der lebensweltorientierte Setting-Ansatz (Settingansatz/Lebensweltansatz) der Gesundheitsförderung, dessen Grundstein in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (WHO 1986) gelegt wurde, umfasst alle erforderlichen Elemente von Umweltgerechtigkeit (Verhaltens- und Verhältnisprävention, Partizipation und Koordinierung) und erscheint daher ein geeigneter Zugang zur praktischen Umsetzung von Umweltgerechtigkeit zu sein.

Ausblick

In Deutschland trägt die soziale Ungleichverteilung von Umweltbelastungen und Umweltressourcen nachweislich dazu bei, dass sozial schlechter gestellte Menschen einen schlechteren Gesundheitszustand haben und ihre Lebenserwartung geringer ist als die von sozial besser Gestellten. Um bestmögliche umweltbezogene Gesundheitschancen für alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen, ist es dringend erforderlich, das Politik- und Handlungsfeld Umweltgerechtigkeit weiterzuentwickeln. Hierzu sollten die ressortübergreifenden Kooperationen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verstärkt und integrierte Handlungsstrategien weiterentwickelt und systematisch umgesetzt werden.

Als ein handlungsorientiertes Leitbild bietet Umweltgerechtigkeit eine neue Perspektive, um soziale Ungleichheiten bei Umwelt und Gesundheit zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken. Durch die Verknüpfung verschiedener Interventionsfelder − vor allem Umweltschutz und Stadtentwicklung/-planung mit Strategien aktivierender Gesundheitsförderung − wirkt Umweltgerechtigkeit im Sinne von Health-in-All-Policies. Umweltgerechtigkeit kann zukünftig noch stärker dazu beitragen, dass der eher programmatische Health in All Policies-Ansatz in der Praxis zum Tragen kommt und zu einem Health Equity in All Policies-Ansatz erweitert wird (Soziale Benachteiligung und Gesundheitsförderung/gesundheitliche Chancengleichheit).

Literatur:

BBSR − Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung & BMUV − Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2016). Umweltgerechtigkeit in der Sozialen Stadt − Gute Praxis an der Schnittstelle von Umwelt, Gesundheit und sozialer Lage. Berlin. Zugriff am 13.02.2024 unter www.staedtebaufoerderung.info/SharedDocs/downloads/DE/Praxis/ArbeitshilfenundLeitfaeden/SozialerZusammenhalt/umweltgerechtigkeit.pdf?__blob=publicationFile&v=1.

Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin, Abt. Stadtentwicklung und Bauen & AG SPAS – Arbeitsgemeinschaft für Sozialplanung und angewandte Stadtforschung e. V. (im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen), Team Quartiersmanagement, (Hrsg.) (2020): Schöneberger Norden. Berlin. Zugriff am 15.02.2024 unter www.schoeneberger-norden.de/fileadmin/user_upload/2020/Neuigkeiten/201008_Brosch_QM_Sch%C3%B6No_1999-2020_ENDFASSUNG_web.pdf.

Böhme, C., Franke, T. & Gröschel, L. (2023). Umweltgerechtigkeit im Städtebauförderungsprogramm „Sozialer Zusammenhalt“. Endbericht 2023 (Auftraggeber: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung). Zugriff am 13.02.2024 unter www.staedtebaufoerderung.info/SharedDocs/downloads/DE/Forschung/SozialerZusammenhalt/Umweltgerechtigkeit_Endbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=2.

Bolte, G., Bunge, C., Hornberg, C. & Köckler, H. (2018). Umweltgerechtigkeit als Ansatz zur Verringerung sozialer Ungleichheiten bei Umwelt und Gesundheit. In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz, 61 (6), S. 674−683.

Bolte, G., Bunge, C., Hornberg, C., Köckler, H. & Mielck, A. (Hrsg.) (2012). Umweltgerechtigkeit. Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit − Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern: Hogrefe.

Bunge, C. & Katzschner, A. (2009). Umwelt, Gesundheit und soziale Lage: Studien zur sozialen Ungleichheit gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen in Deutschland. Dessau-Roßlau 2009 (Umwelt & Gesundheit, 02/2009, Hrsg.: Umweltbundesamt). Zugriff am 13.02.2024 unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/4031/dokumente/umwelt_und_gesundheit_02_2009_web.pdf.

Bunge, C., Steinkühler, N. & Hornberg, C. (2017). Sozialmedizinische Aspekte in der Umweltmedizin. In: J. G. Gostomzyk (Hrsg.). Angewandte Sozialmedizin. Handbuch für Weiterbildung und Praxis. 31. Ergänzungslieferung, Landsberg: ecomed.

Heinrich, J., Mielck, A. Schäfer, I. & Mey, W. (1998). Soziale Ungleichheit und umweltbedingte Erkrankungen in Deutschland: empirische Ergebnisse und Handlungsansätze. Landsberg (Fortschritte in der Umweltmedizin): ecomed.

Maschewsky, W. (2008). Umweltgerechtigkeit als Thema für Public Health-Ethik. In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz, 51, S. 200−210.

RKI − Robert Koch-Institut (2023): DEGS. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). Zugriff am 15.02.2024 unter https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Degs/degs_node.html.

SenSBW – Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (o. J.a): Monitoring Soziale Stadtentwicklung. Zugriff am 15.02.2024 unter www.berlin.de/sen/sbw/stadtdaten/stadtwissen/monitoring-soziale-stadtentwicklung.

SenSBW – Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (o.J. b): Umweltatlas. Zugriff am 15.02.2024 unter www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/umweltatlas.

SenUMVK – Senatsverwaltung für für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (o. J.): Umweltgerechtigkeit. Zugriff am 15.02.2024 unter www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/nachhaltigkeit/umweltgerechtigkeit.

UBA – Umweltbundesamt (2024): Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit, GerES. Zugriff am 15.02.2024 unter www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/belastung-des-menschen-ermitteln/deutsche-umweltstudie-zur-gesundheit-geres.

Weiterführende Quellen

Böhme, C., Preuß, T., Bunzel, A., Reimann, B., Seidel-Schulze, A. & Landua, D. (2015). Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum − Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Minderung sozial ungleich verteilter Umweltbelastungen. Dessau-Roßlau (Umwelt & Gesundheit, 01/2015, Hrsg.: Umweltbundesamt). Zugriff am 13.02.2024 unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/umwelt_und_gesundheit_01_2015.pdf.

Böhme, C., Bunge, C. & Preuß, T. (2016). Umweltgerechtigkeit in der Stadt − zur integrierten Betrachtung von Umwelt, Gesundheit, Sozialem und Stadtentwicklung in der kommunalen Praxis. In: Umweltpsychologie, 20 (2), S. 137−157.

Laußmann, D., Haftenberger, M., Lampert, T. & Scheidt-Nave, C. (2013). Soziale Ungleichheit von Lärmbelästigung und Straßenverkehrsbelastung. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1). In: Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz, 56 (5/6), S. 822−831.

Internetadressen:

Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (Videotutorials „Umweltgerechtigkeit im Städtebauförderungsprogramm Sozialer Zusammenhalt“): www.staedtebaufoerderung.info/DE/Forschung/SozialerZusammenhalt/Umweltgerechtigkeit/umweltgerechtigkeit.html

Deutsche Umwelthilfe e.V. (Rubrik „Umweltgerechtigkeit“): www.duh.de/umweltgerechtigkeit

Deutsches Institut für Urbanistik (Toolbox Umweltgerechtigkeit): https://toolbox-umweltgerechtigkeit.de

Umweltbundesamt (Rubrik Umweltgerechtigkeit): www.uba.de/umweltgerechtigkeit

Umweltgerechtigkeit im Land Berlin: www.berlin.de/umweltatlas

Verweise:

Determinanten der Gesundheit, Gesundheit in allen Politikfeldern / Health in All Policies (HiAP), Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung, Gesundheitsförderung 3: Entwicklung nach Ottawa, Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Gesundheitswissenschaften / Public Health, Nachhaltigkeit und nachhaltige Gesundheitsförderung, Ökologische und humanökologische Perspektive, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Prävention und Krankheitsprävention, Settingansatz/Lebensweltansatz, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit, Urban health / StadtGesundheit