Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) und Gesundheitsförderung

Veronika Reisig , Joseph Kuhn

(letzte Aktualisierung am 15.02.2024)

Zitierhinweis: Reisig, V. & Kuhn, J. (2024). Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) und Gesundheitsförderung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i081-3.0

Zusammenfassung

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) ist auf der Bundes-, Länder- und kommunalen Ebene vertreten. Zu Letzterer gehören die knapp 400 Gesundheitsämter. Diese sind grundsätzlich prädisponiert als Akteure der Gesundheitsförderung vor Ort. Trotz gelungener beispielhafter Ansätze wird der ÖGD in der Breite dem Potenzial als Träger der Gesundheitsförderung im kommunalen Kontext jedoch nicht gerecht, nicht zuletzt aufgrund langjährigen Personalabbaus und der Konzentration auf hoheitliche Überwachungsaufgaben. Das Präventionsgesetz (2015), das Leitbild für einen modernen ÖGD (2018) sowie der im Zuge der Corona-Pandemie (2020) beschlossene „Pakt für den ÖGD“ bieten Chancen für mehr Gesundheitsförderung durch den ÖGD vor Ort.

Schlagworte

Gesundheitsämter, Gesundheitsförderung, Leitbild ÖGD, Präventionsgesetz, Pakt für den ÖGD, Health in all Policies


Begrifflichkeit: Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD)

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) umfasst Einrichtungen der Gesundheitsverwaltung auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene. Auf Bundesebene gehören dazu z. B. das Bundesgesundheitsministerium, Bundesbehörden wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bzw. das Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM), das die BZgA 2025 ablösen wird, das Robert Koch-Institut (RKI) oder das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Auf Länderebene sind dies die Landesgesundheitsministerien und Landesämter bzw. Landesinstitute für Gesundheit, auf der kommunalen Ebene schließlich die Gesundheitsämter. Darüber hinaus gibt es weitere Behörden, die gesundheitsbezogene Aufgaben wahrnehmen, aber gemeinhin nicht unter den Begriff „Öffentlicher Gesundheitsdienst“ subsummiert werden, z. B. Behörden der Lebensmittelüberwachung oder des Arbeitsschutzes.

Der ÖGD nimmt ein breites Aufgabenspektrum mit dem Ziel des Erhalts und der Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit wahr (Gesundheitsschutz), darunter auch Aufgaben der Gesundheitsförderung. Das Augenmerk der folgenden Ausführungen liegt auf der kommunalen Ebene des ÖGD, den Gesundheitsämtern, sowie der Gesundheitsförderung als dezidiert ressourcenorientiertem Ansatz (Salutogenese) in Abgrenzung zur Prävention und anderen Bereichen des Gesundheitsschutzes wie zum Beispiel dem Infektionsschutz. Die Aufgaben anderer, u. a. staatlicher Akteure in der Gesundheitsförderung, werden unter den Stichpunkten Gesundheitsförderung 5: Deutschland, Akteure und Strukturen der Gesundheitsförderung und Prävention sowie Kommunale Gesundheitsförderung dargestellt.

Insgesamt gibt es derzeit etwas weniger als 400 Gesundheitsämter in Deutschland in sehr unterschiedlichen Größenordnungen, von sehr kleinen Ämtern mit weniger als zwanzig Beschäftigten in ländlichen Bereichen bis hin zu sehr großen mit einer Personaldecke von weit mehr als hundert Beschäftigten in urbanen Regionen. Gesundheitsämter sind multiprofessionell besetzt. Die Mitarbeitenden kommen u. a. aus den Bereichen Medizin, Soziale Arbeit und Hygiene.

In den meisten Bundesländern sind die Gesundheitsämter kommunalisiert, d. h. sie sind fachlich und personell vollständig in die Landratsämter eingegliedert. Zu den Ausnahmen zählt z. B. Bayern mit 71 staatlichen Gesundheitsämtern, die nur verwaltungsorganisatorisch den Landratsämtern zugeordnet sind, und nur fünf „echten“ kommunalen Gesundheitsämtern. In Baden-Württemberg sind die Gesundheitsämter ebenfalls nicht vollständig kommunalisiert, außerdem haben die Stadtstaaten besondere Strukturen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Gesundheitsämtern umbenannt, so dass es eine Vielzahl von Bezeichnungen gibt, u. a. „Fachdienst Gesundheit“, „Abteilung/Sachgebiet Gesundheitswesen“ (z. B. in Landratsämtern) oder „Untere Gesundheitsbehörde“.

Der Aufgabenkanon des ÖGD ist in einem komplexen Geflecht aus bundes- und landesrechtlichen Bestimmungen geregelt, u. a. in den Gesundheitsdienstgesetzen der einzelnen Bundesländer. In allen Bundesländern zählt neben dem Gesundheitsschutz explizit auch die Gesundheitsförderung und als fachlich benachbarter Bereich die Gesundheitsberichterstattung zu den Aufgaben des ÖGD. Allerdings unterscheiden sich die diesbezüglichen Formulierungen und Ausgestaltungsvorgaben in den einzelnen Landesgesundheitsdienstgesetzen voneinander.

Das im Jahr 2015 verabschiedete Präventionsgesetz („Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“) adressiert vorrangig die Sozialversicherungsträger, insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung. Kommunen werden allerdings als wichtige Settings für Prävention und Gesundheitsförderung benannt. Für die Umsetzung des Gesetzes wird eine Regelung der Zusammenarbeit mit dem ÖGD explizit eingefordert (Präventionsgesetz 2015; NPK 2018).

Aufgaben der Gesundheitsämter

Die Aufgaben der Gesundheitsämter in Bezug auf Gesundheitsschutz/Prävention und Gesundheitsförderung sind sehr vielfältig. Sie umfassen unter anderem:

  • Infektionsschutz (z. B. Meldewesen, Ausbruchsuntersuchungen, Kontaktpersonenmanagement, Anordnung von Hygienemaßnahmen)
  • Hygiene (z. B. Trinkwasser- oder Krankenhaushygiene)
  • Umweltmedizin (z. B. Altlasten)
  • Schuleingangs- und andere Reihenuntersuchungen
  • Impfangebote
  • Beratungs- und Unterstützungsangebote (z. B. zur Kindergesundheit, Suchtberatung, Behindertenberatung, psychische Gesundheit, HIV/Aids, Auslandsreiseimpfungen)
  • Durchführung bzw. Koordination von Projekten und Aktionen auf lokaler Ebene (z. B. Schulprojekte, Gesundheitstage)
  • Netzwerkarbeit in größeren Zusammenhängen (z. B. Netzwerke der Suchtprävention oder psychischen Gesundheit, Gesundheitskonferenzen)
  • Beobachtung und Berichterstattung zu den gesundheitlichen Verhältnissen vor Ort

Dabei stehen sich traditionelle „behördliche“ Interventionsformen und der Ansatz der Gesundheitsförderung oft unvermittelt gegenüber. Den Gesundheitsämtern wird somit im präventiven Bereich Arbeit in „doppelter Kompetenz“ auf mehreren Ebenen abgefordert: Erstens hinsichtlich einer pathogenetischen wie auch salutogenetischen Sichtweise (Salutogenese). Zweitens hinsichtlich hoheitlicher Kontroll- und Überwachungsaufgaben wie auch einer partnerschaftlichen und partizipativen Arbeitsweise mit dem Ziel der Unterstützung, Befähigung (Empowerment/Befähigung) und Ressourcenstärkung der Bürgerinnen und Bürger. Drittens hinsichtlich einer Mischung der Steuerungsmethoden von hoheitlichem „Government“ und beteiligender „Governance“, d. h. moderierenden Vorgehensweisen.

Kommunale Gesundheitsförderung: Das Potenzial des ÖGD

Gesundheit entsteht im alltäglichen Leben. Viele der Rahmenbedingungen für Gesundheit werden auf der kommunalen Ebene gestaltet bzw. mitgestaltet, z. B. bei der Stadtentwicklung oder Verkehrsplanung, der Vorhaltung örtlicher Angebote für Kinderbetreuung, Bildung, Sport- und Freizeitmöglichkeiten, dem lokalen Umweltschutz oder der kommunalen Wirtschaftsförderung.

Kommunen sind zentrale Akteure der kommunalen Gesundheitsförderung. Unter den kommunalen Institutionen haben daher vor allem die Gesundheitsämter den ausdrücklichen Auftrag zum Erhalt und Förderung der Gesundheit der Menschen vor Ort. Sie sind grundsätzlich und in besonderer Weise als kommunale Anwälte für Gesundheit prädisponiert:

  • Gesundheitsämter zeichnen sich aus durch ein gesundheitsbezogenes Kompetenzprofil, Multiprofessionalität und Interdisziplinarität der Beschäftigten, öffentliche Präsenz und Nähe zu den Menschen vor Ort.
  • Sie besitzen den Zugang zu und die Kompetenz zur anwendungsorientierten Aufbereitung der Gesundheitsdaten der lokalen Bevölkerung.
  • Sie sind in die Strukturen vor Ort mit einer Art „Drehscheibenfunktion“ für viele kommunale Dienste eingebunden und pflegen vielfache Arbeitsbeziehungen zu anderen kommunalen Behörden wie dem Schul-, Sozial- oder Jugendamt.
  • Sie verfügen über Zugangsmöglichkeiten zu verschiedenen, auch vulnerablen, Zielgruppen und Lebenswelten vor Ort (v. a. Kindertagestätten, Schulen, Alten- und Pflegeheimen, Wohnbezirken, Stadt- oder Gemeindeteile).
  • Sie nehmen eine interessenneutrale, gemeinwohlorientierte und sozialkompensatorische Stellung ein.
  • Angefangen von Bedarfserhebungen bzw. einer Gemeindediagnose auf der Basis einer aussagekräftigen Gesundheitsberichterstattung, über die Sichtung und Interpretation gesundheitswissenschaftlicher Evidenz bis hin zur partnerschaftlichen Planung, Umsetzung und Evaluation (Public Health Action Cycle/Gesundheitspolitischer Aktionszyklus) kann der kommunale ÖGD grundsätzlich eine zentrale Rolle bei Projekten.

Der ÖDG braucht Partnerinnen und Partner

Das gesundheitsförderliche Engagement des ÖGD kann aufgrund der vielfältigen und komplexen Einflussfaktoren auf Gesundheit (Determinanten von Gesundheit) nicht im Alleingang erfolgen. Es braucht vielmehr kommunale Partnerinnen und Partner zum Beispiel im Jugend-, Bildungs-, Stadtentwicklungs- oder Gesundheitsversorgungsbereich. Im Sinne von integrierten kommunalen Strategien, die eine sektorenübergreifende Bündelung und Abstimmung von Ressourcen und Angeboten für alle Lebensphasen bezwecken, kann der ÖGD mit seinen kommunalen Partnerinnen und Partnern die ganze Bandbreite gesundheitsrelevanter Handlungsfelder im Auge haben.

Somit kann der ÖGD zur Umsetzung von „Health in All Policies“ (Gesundheit in allen Politikfeldern/Health in All Policies (HiAP); Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik/Healthy Public Policy), einem zentralen Element der Gesundheitsförderung, auf kommunaler Ebene beitragen. In Ansätzen wie den Frühen Hilfen, den Gesundheitsförderungs- und Präventionsketten (Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention) oder den „kommunalen Gesundheitslandschaften“ (Luthe 2013) wird versucht, dies konzeptionell zu systematisieren.

Der ÖGD kann hier vielfältige Rollen einnehmen: von der Impulsgebung bzw. Initiierung über die Vernetzung und Moderation bis hin zur Koordination und ggf. Steuerung auf der kommunalen Ebene. Konzeptionelle und wissenschaftliche Unterstützung können Gesundheitsämter durch überregionale Kompetenzträger wie z. B. einschlägige Bundesbehörden oder die Landesgesundheitsämter erhalten. Kommunale Gesundheitskonferenzen, wie sie z. B. in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gesetzlich verankert sind oder in Bayern als Gesundheitsregionenplus umgesetzt werden, bieten kooperative Strukturen zur Gesundheitsförderung.

Unter Moderation, Koordination bzw. Begleitung durch den ÖGD können die Analyse der gesundheitlichen Situation vor Ort, die Festlegung regionaler Gesundheitsziele sowie die Vernetzung, Bündelung und bedarfsgerechte Entwicklung von Ressourcen und Angeboten erfolgen. Eine Form der Analyse ist auch die Abschätzung von Gesundheitsfolgen primär nicht gesundheitsbezogener Strategien bzw. Vorhaben, wie zum Beispiel der Verkehrsplanung oder von großen Bauprojekten. Im Rahmen von (Raum-)Planungsverfahren sind hier dem ÖGD auch gesetzlich verankerte Aufgaben zugewiesen, wenn auch nicht in dem Umfang, den eine umfassende Gesundheitsfolgenabschätzung erfordert (Health Impact Assessment (HIA)/Gesundheitsverträglichkeitsprüfung).

Strukturelle Andockstellen für das gesundheitsförderliche Engagement des ÖGD bieten des Weiteren das Gesunde Städte-Netzwerk der WHO, dem deutschlandweit über 90 Städte und Kommunen angehören, oder das Bund-Länder-Programm „Sozialer Zusammenhalt“ (vormals „Soziale Stadt“), das integrierte Ansätze zur Entwicklung benachteiligter Stadtteile unterstützt.

Der kommunale Partnerprozess „Gesundheit für alle“, eine von der BZgA zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit ins Leben gerufene Plattform zur Unterstützung des Aufbaus von integrierten kommunalen Strategien bzw. Präventionsketten, stellt einen weiteren wichtigen Rahmen für die Integration des ÖGD in den Aufbau kommunaler Gesundheitsförderungs- und Präventionsnetzwerke dar.

Auch das Präventionsgesetz gibt eine strukturelle Verankerung des ÖGD in Prävention und Gesundheitsförderung vor. In den auf Länderebene zu schließenden Landesrahmenvereinbarungen sollen Festlegungen zur Zusammenarbeit mit dem ÖGD getroffen werden (§ 20 f Abs. 2 Nr. 5 SGB V). Zudem ist in § 20 a Abs. 1 SGB V eine Zusammenarbeit mit dem ÖGD bei den zu erbringenden Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten vornehmlich für den Aufbau und Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen angelegt.

Kommunale Gesundheitsförderung: Die Realität des ÖGD

Zu den veröffentlichten Beispielen gelungener Umsetzung kommunaler Gesundheitsförderung unter Beteiligung des lokalen ÖGD zählt z. B. „Lenzgesund“, ein Präventionsprogramm für das sozial benachteiligte Quartier „Lenzsiedlung“ in Hamburg-Eimsbüttel, das durch das Gesundheitsamt gemeinsam mit anderen Partnerinnen und Partnern vor Ort entwickelt und umgesetzt wurde. Weitere Beispiele sind z. B. die „Kommunale Koordinierungsstelle Migration und Gesundheit“ des Amts für Gesundheit Frankfurt a. M., das „Netzwerk Suchtprävention“ des Gesundheitsamts Erlangen-Höchstadt, die kommunale „Präventionskette (München) Freiham“ oder die Initiative „Gesundheit fördern – Versorgung stärken“ mit einer intergierten Gesamtstrategie für den Landkreis Marburg-Biedenkopf. Sie lassen sich u. a. in den Projektdatenbanken bzw. Internetportalen bundesweiter Initiativen wie dem „Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit“ oder dem Internetportal zum kommunalen Partnerprozess „Gesundheit für alle“ finden.

Trotz dieser gelungenen Modelle und der Beobachtung, dass in zahlreichen großen, städtischen Gesundheitsämtern Gesundheitsförderung als Aufgabe etabliert werden konnte, wird der ÖGD in der Breite seinem Potenzial als Träger der Gesundheitsförderung im kommunalen Kontext noch nicht gerecht. Der erste Präventionsbericht der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) zur Umsetzung des Präventionsgesetzes kam zu dem Schluss, dass die im Gesetz geforderte Einbeziehung des ÖGD zwar eine Entsprechung im Wortlaut der Landesrahmenvereinbarungen der 16 Bundesländer fand, vor Ort jedoch zu wenig umgesetzt wurde (NPK 2019, S. 150–194). Trotz einiger Fortschritte konstatierte auch der zweite Präventionsbericht der NPK aus dem Jahr 2023 die Kooperation mit dem ÖGD vor Ort als weiterhin deutlich ausbaufähig (NPK 2023, S. 106−125).

Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) hat bereits Ende der 1990er-Jahre nicht zuletzt auch mit Blick auf die Gesundheitsförderung einen Paradigmenwechsel weg von der Einzelfallarbeit hin zur sozialraumorientierten Arbeit formuliert. 2018 hat das von der Gesundheitsministerkonferenz verabschiedete „Leitbild für einen modernen ÖDG“ diesen Paradigmenwechsel erneut bekräftigt. Dennoch ist er bisher oft noch bloß Programmatik (KGSt 1998, S. 7–8; GMK 2018).

Der Deutsche Landkreistag sieht Gesundheitsförderung und Prävention sogar als eine der „Hauptaufgaben des ÖGD“, markiert jedoch in seiner Stellungnahme zur Weiterentwicklung des ÖGD diesbezüglich Nachholbedarf (Deutscher Landkreistag 2013). Das Zukunftsforum Public Health, das sich für die Entwicklung einer Public Health-Strategie für Deutschland einsetzt, sieht im ÖGD grundsätzlich einen wichtigen Akteur zur Umsetzung eines Health in All Policies-Ansatzes, der jedoch diesen Erwartungen aktuell kaum gerecht werden kann (Zukunftsforum Public Health 2019; Zukunftsforum Public Health 2021).

Eine Weiterentwicklung und Stärkung des ÖGD im Sinne des Leitbilds für einen modernen ÖGD wird wiederholt auch in den Präventionsberichten der Nationalen Präventionskonferenz betont, außerdem eine Aufwertung des ÖGD als „Motor“ für die Förderung des Health in All Policies-Ansatzes“ eingefordert (NPK 2019, S. 249–251; NPK 2023, S. 218−219). Dies greift auch das Gutachten 2023 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen auf, das auf die zentrale Rolle des ÖGD für die Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene verweist und vielfältige Empfehlungen zur Weiterentwicklung und Stärkung des ÖGD formuliert (Sachverständigenrat 2023, S. 161−213).

Die Gründe für das Entwicklungsdefizit des ÖGD sind vielfältig. Sie reichen vom Funktionsverlust in der Nachkriegszeit und der Dominanz individualmedizinischen Denkens im bundesrepublikanischen Gesundheitswesen über professionelle Traditionen im ÖGD bis hin zur allgemeinen Kürzung der öffentlichen Stellenhaushalte – alles Faktoren, die die Entwicklungspotentiale im ÖGD stark einschränken. Konzeptionelle Perspektiven könnten zudem leichter erschlossen werden, wenn der ÖGD als Forschungsfeld in den Gesundheitswissenschaften präsenter wäre.

Statt einer wissenschaftlich fundierten, in die Public Health-Landschaft integrierten Weiterentwicklung des ÖGD – wie es u. a. im Leitbild für einen modernen ÖGD gefordert wird –, kam es vielfach sogar zu einer Verfestigung herkömmlicher Handlungsorientierungen und einer Konzentration auf die hoheitlichen Aufgaben im ÖGD. Dies prägte auch die Jahre der SARS-CoV-2-Pandemie, wo die Gesundheitsämter aufgrund der dünnen Personaldecke viele Aufgaben jenseits der Pandemiebekämpfung nur in sehr begrenztem Umfang bzw. vorübergehend gar nicht erfüllen konnten (Starke & Arnold 2021).

Im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie wurde 2020 der „Pakt für den ÖGD“ beschlossen, der einen Personalaufbau sowie die Modernisierung und Digitalisierung des ÖGD zum Ziel hat (GMK 2020). Noch ist offen, ob der Pakt primär nur die hoheitlichen Kontroll- und Überwachungsfunktionen stärkt oder ob es auch eine Entwicklung hin zu einer umfassenderen Wahrnehmung von gesundheitsförderlichen Aufgaben durch den ÖGD geben wird (Szagun & Arnold 2023).

Eine Stärkung des ÖGD sollte in ein Gesamtkonzept zur Zukunft des ÖGD eingebettet sein und sich an dem von der Gesundheitsministerkonferenz beschlossenen Leitbild für einen modernen ÖGD orientieren (Zukunftsforum Public Health 2020). Dies wird auch aufgegriffen von dem im Jahr 2021 eingesetzten Beirat zur Begleitung der Umsetzung des Pakts für den ÖGD sowie in den Empfehlungen im Gutachten 2023 des Sachverständigenrats (BMG & GMK 2023; Sachverständigenrat 2023, S. 161−213). Letzteres mahnt u. a. eine umfassende Neuorientierung und Stärkung des ÖGD auch jenseits von Infektions- und Gesundheitsschutzaufgaben an, einschließlich einer Erhöhung des Stellenwerts von Gesundheitsförderung und Prävention im ÖGD.

Inwieweit aktuelle gesetzliche Vorhaben wie das bis zum Beginn 2025 zu errichtende Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BMG 2023) und das sich (Stand Januar 2024) noch im Stadium des Referentenentwurfs befindliche „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ des BMG („Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“) die strukturelle Einbeziehung des ÖGD in das Gesundheitsförderungsgeschehen auf kommunaler Ebene befördern können, ist aktuell noch nicht abzusehen. Der Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz sieht u. a. die Einrichtung von präventiv orientierten Gesundheitskiosken und Gesundheitsregionen auf Initiative von Kommunen vor. Inwieweit sich hier eine gesetzlich verankerte, verbindliche Rolle des ÖGD ergeben wird, hängt von der weiteren Entwicklung des Gesetzesvorhabens einerseits und des ÖGD andererseits ab.

Ausblick

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der ÖGD vor Ort in vielerlei Hinsicht für die Rolle als zentraler Akteur kommunaler Gesundheitsförderung geeignet ist. Er wird diesem Potenzial jedoch vor dem Hintergrund seiner geschichtlich verorteten, rechtlichen und personellen Rahmenbedingungen sowie seiner Organisationskultur und seinem Selbstverständnis vielerorts nicht gerecht. Dennoch stellen die Gesundheitsförderung bzw. – weiter gefasst – moderne (New) Public Health-Ansätze eine konzeptionelle Leitvision für den ÖGD dar.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin ist die Schaffung entsprechender rechtlicher Rahmenbedingungen, nicht zuletzt durch das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz, auch wenn die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten darin begrenzt erscheinen bzw. bisher nicht ausgeschöpft werden. Weitere Meilensteine sind eine Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen, die dem ÖGD als vielzitierter „dritter Säule“ neben der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung etwas gerechter wird und dabei sowohl Kontroll- als auch partnerschaftlich moderierende Ansätze unterstützt, ein Ausbau bevölkerungsmedizinischer Kompetenzen im ÖGD sowie die Annäherung des ÖGD an Public Health in Wissenschaft und Praxis, wie dies auch im Leitbild für einen modernen ÖGD und den Ausführungen im Gutachten 2023 des Sachverständigenrats formuliert ist.

Literatur:

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KGSt – Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (1998). Ziele, Leistungen und Steuerung des kommunalen Gesundheitsdienstes. KGSt-Bericht 11/1998, S. 7–8. Köln.

Luthe, E.-W. (Hrsg.) (2013). Kommunale Gesundheitslandschaften. Berlin, Heidelberg, New York: Springer VS.

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Weiterführende Quellen

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BMG – Bundesgesundheitsministerium. Referentenentwurf „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ – Informationen und Stellungnahmen. Zugriff am 15.01.2024 unter www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/materialien/gesundheitskioske.

Kilian, H., Block, P., Gerullis, M. & Lehmann, F. (2013). Der ÖGD als koordinierender Akteur? Prävention 36(4), S. 116–119.

Kuhn, J. & Heyn, M. (Hrsg) (2015). Gesundheitsförderung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst. Bern: Hans Huber.

Kuhn, J., Wildner, M. & Zapf, A. (2012). Der Öffentliche Gesundheitsdienst: Standortbestimmung mit hoffnungsvollem Ausblick. Deutsches Ärzteblatt 109(9), S. A 413–416.

Schmacke, N. (2013). Gesundheitsförderung in der Kommune als Aufgabe des ÖGD. Prävention 36(4), S. 124–126.

Internetadressen:

Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.: www.bvpraevention.de

Gesunde Städte-Netzwerk: www.gesunde-staedte-netzwerk.de

Kommunalen Partnerprozess „Gesundheit für alle“ mit den Bereichen kommunale Gesundheitsförderung über alle Lebensphasen, Frühe Hilfen, Suchtprävention und Partizipative Gesundheitsforschung: www.inforo-online.de

Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de

Verweise:

Akteure und Strukturen der Gesundheitsförderung und Prävention, Determinanten der Gesundheit, Empowerment/Befähigung, Frühe Hilfen, Gesunde Städte-Netzwerk, Gesundheit in allen Politikfeldern / Health in All Policies (HiAP), Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik / Healthy Public Policy, Gesundheitsförderung 5: Deutschland, Gesundheitsschutz, Health Impact Assessment (HIA) / Gesundheitsfolgenabschätzung (GFA), Kommunale Gesundheitsförderung, Präventionsgesetz, Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention, Public Health Action Cycle / Gesundheitspolitischer Aktionszyklus, Salutogenese