Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln
Zitierhinweis: Faltermaier, T. (2020). Gesundheitsverhalten, Krankheitsverhalten, Gesundheitshandeln. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
Zusammenfassung
Als Gesundheitsverhalten werden Handlungen von gesunden Menschen bezeichnet, die das Risiko von Erkrankungen nachweislich senken oder die Chance für Gesundheit erhöhen. Maßnahmen, die Menschen mit Erkrankungssymptomen ergreifen, werden dagegen als Krankheitsverhalten definiert. Gesundheitshandeln wiederum umfasst die Verhaltensweisen von gesunden wie auch kranken Menschen, die als subjektiv bedeutsam für die Gesunderhaltung betrachtet werden. Wie alle drei Arten des Handelns im Alltag konkret aussehen, wird durch den sozialen Kontext und das individuelle Alltagskonzept von Gesundheit geprägt. Aus dieser Perspektive heraus werden die Bedeutung von Partizipation und Empowerment für die Gesundheitsförderung betont.
Schlagworte
Gesundheitsverhalten, Modelle des Gesundheitsverhaltens, Gesundheitshandeln, Krankheitsverhalten, Gesundheitsförderung
Gesundheitsverhalten
Als Gesundheitsverhalten („health behavior“) werden alle Verhaltensweisen von gesunden Menschen verstanden, die nach wissenschaftlichen (epidemiologischen) Erkenntnissen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Krankheiten vermieden werden oder die Gesundheit erhalten wird (Faltermaier, 2017). Der Begriff wird damit vielfach als Gegenbegriff zum Risikoverhalten verwendet, der alle Verhaltensweisen oder Gewohnheiten umfasst, die wissenschaftlich belegt die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine spezifische Krankheit zu entwickeln.
Wir haben heute relativ gute Erkenntnisse über diese verhaltensbedingten Risikofaktoren: Sie tragen neben den somatischen (z. B. hohes Cholesterin, hoher Blutdruck) und psychosozialen Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell (z. B. Stress, riskante Persönlichkeitsmerkmale) wesentlich zur Erklärung von schweren und chronischen Krankheiten (z. B. Koronare Herzerkrankungen, Diabetes, Krebserkrankungen) bei. Gut belegt sind Risikoverhaltensweisen wie z. B. Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, fett- und kalorienreiche Ernährung, exzessives Sonnenbaden oder riskantes Sexualverhalten (Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell).
Im Umkehrschluss werden von Experten und Expertinnen jene Verhaltensweisen als Gesundheitsverhalten eingestuft, die diese riskanten Gewohnheiten vermeiden, z. B. ausreichende Bewegung oder Sport, ausgewogene Ernährung, ausreichender Schlaf, „safer sex“ oder die Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen. Es ist aber empirisch viel schwieriger zu belegen, welche Verhaltensweisen in welchem Ausmaß und in welcher Dauer die Gesundheit erhalten können. Mehrfaches Risikoverhalten potenziert statistisch betrachtet das Risiko, eine Krankheit zu entwickeln; umgekehrt lassen sich mehrere Gesundheitsverhaltensweisen zu einem gesunden Lebensstil (Lebensweise/Lebensstil) kombinieren. Empirisch lassen sich dann eine bessere Gesundheit bzw. geringere Krankheits- und Mortalitätsraten nachweisen.
Krankheitsverhalten
Krankheitsverhalten („illness behavior“) umfasst das Verhalten von Personen, die bereits Symptome einer Krankheit wahrnehmen und sich darum bemühen, diese abzuklären, eine Diagnose vorzunehmen und eine geeignete Behandlung zu erreichen (Faltermaier, 2017). Es kann sich dabei etwa um Versuche handeln, die Bedeutung von Beschwerden z. B. durch die Kommunikation mit anderen einzuschätzen, sich Informationen über die Krankheit einzuholen, eine Krankheit und ihre Folgen zu verstehen, sich soziale Unterstützung und Hilfen in seinem sozialen Umfeld zu erschließen oder professionelle Hilfen (Ärzte/Ärztinnen, Beratungsstellen) aufzusuchen.
Krankheitsverhalten kann unterschieden werden vom Krankenrollenverhalten („sick role behavior“), welches das Verhalten von Personen beschreibt, die bereits die medizinische Diagnose einer Krankheit erhalten haben und dadurch in der Regel die Rolle eines Patienten oder einer Patientin angenommen haben bzw. als solche wahrgenommen werden (Faltermaier, 2017). Dazu gehören alle Bemühungen, eine geeignete Behandlung zu erhalten und das Fortschreiten einer Krankheit zu verhindern, die soziale Interaktion und Zusammenarbeit („compliance“ = Therapietreue/Befolgung von ärztlichen Anweisungen) mit behandelnden Experten/Expertinnen sowie der Umgang mit Behandlungsmaßnahmen (z. B. eine Operation oder Chemotherapie) und ihren Folgen.
Gesundheitshandeln
Als Gesundheitshandeln („health action“) wird das subjektiv bedeutsame Handeln von gesunden oder kranken Menschen verstanden, das mehr oder weniger bewusst mit dem Ziel der Gesunderhaltung und im alltäglichen sozialen Kontext erfolgt (Faltermaier, 2017). Das Konstrukt wurde von Faltermaier (1994) in kritischer Absetzung zum Begriff des Gesundheitsverhaltens eingeführt, um der normativen Vorgabe eines umgrenzten und nur von Experten und Expertinnen definierten Verhaltens ein subjektorientiertes Konzept entgegenzusetzen, das Handlungskompetenz auch bei medizinischen Laien unterstellt. Das Gesundheitshandeln stellt ein sozialwissenschaftliches Konstrukt dar und wird im Kontext der Salutogenese (Salutogenese) und ihres Gesundheits-Krankheits-Kontinuums gesehen; es muss somit keine eindeutige Zuordnung von Menschen als gesund oder krank erfolgen, sondern es kann ein Gesundheitsmotiv bei allen Menschen unterstellen.
Das Gesundheitshandeln basiert auf dem Gesundheitsbewusstsein (Health Literacy/Gesundheitskompetenz), also auf dem Alltagswissen von Personen oder sozialen Gruppen und ihren alltäglichen Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit (Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit) (Faltermaier, 2005). Je nach subjektiver Sicht kann das Gesundheitshandeln mehrere Verhaltensebenen (Bewegung, Ernährung, Umgang mit wahrgenommenen Risiken und Belastungen, Aufbau und Erhaltung von personalen und sozialen Ressourcen) verbinden und zu einer gesunden Lebensweise kombinieren; es folgt aber einer subjektiven Logik und muss daher nicht in Einklang mit Expertenwissen stehen. In Abhängigkeit vom sozialen Kontext und der Lebensphase kann sich das Gesundheitshandeln verändern und unterschiedlich manifestieren.
Bedeutung für Gesundheitsförderung
Für die Gesundheitsförderung bedeutet der Bezug auf Gesundheits- und Krankheitsverhalten bzw. auf Gesundheitshandeln, dass Menschen durch ihre alltäglichen Verhaltens- und Lebensweisen sowie deren Veränderung ihre Gesundheit wesentlich beeinflussen können und dass Professionelle sie dabei in vielfältiger Weise unterstützen können: Es kann dabei um den Abbau eines spezifischen Risikoverhaltens (wie z. B. Rauchen) gehen, um den Aufbau eines Gesundheitsverhaltens (wie z. B. eines Bewegungsverhaltens), um die Unterstützung eines Krankheitsverhaltens (wie z. B. besserer Compliance bei einem Diabetespatienten), aber auch um die Weiterentwicklung eines Gesundheitshandelns bzw. einer gesunden Lebensweise bei Zielgruppen oder -personen.
Als Grundlagen für diese professionellen Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung sind wissenschaftliche Erkenntnisse über die Bedingungen eines Gesundheits- und Krankheitsverhaltens und die Möglichkeiten ihrer Veränderung heranzuziehen (vgl. Kohlmann, Salewski, & Wirtz, 2018). Diese Bedingungen umfassen die Motivation von Menschen, ihre subjektiven Überzeugungen und ihre sozialen Rahmenbedingungen (Health Literacy/Gesundheitskompetenz, Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit).
Umfangreiche Forschungen zu den Bedingungen des Gesundheitsverhaltens wurden in der Gesundheitspsychologie durchgeführt und führten zu empirisch fundierten Modellen; die Medizinpsychologie beschäftigt sich stärker mit dem Krankheitsverhalten (vgl. Bengel, & Jerusalem, 2009). Aber auch in Medizinsoziologie, Sozialmedizin und Public Health sind einschlägige Forschungs- und Praxisansätze zu finden. Während psychologische Disziplinen oder die Verhaltensmedizin traditionell stärker mit dem Verhaltensbegriff arbeiten, ist der Begriff des Gesundheitshandelns stärker in der Tradition einer sozial- und subjektwissenschaftlichen Gesundheitsforschung verankert.
Modelle des Gesundheitsverhaltens
Modelle des Gesundheitsverhaltens versuchen, das Gesundheitsverhalten durch kognitive, soziale und soziodemografische Faktoren zu erklären (Erklärungs- und Veränderungsmodelle I: Einstellungs- und Verhaltensänderungen) (vgl. Faltermaier, 2017). Diese Tradition begann in den 1970er-Jahren mit dem „Health Belief Modell“ (HBM) (Faltermaier, 2017; Schwarzer, 2004), in dem spezifische gesundheitliche Überzeugungen (wahrgenommene Risiken, wahrgenommener Nutzen und Kosten eines Verhaltens) formuliert wurden, um gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie z. B. die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen zu erklären.
In Kritik an der beschränkten Vorhersagekraft dieser frühen Modelle entstanden neue Modelle, die empirisch besser geprüft und konzeptionell durch ihre prozessualen Zusammenhänge überzeugender waren (vgl. zum Überblick: Faltermaier, 2017; Schwarzer, 2004). International sehr bekannte Modelle sind heute etwa das „Health Action Process Approach“-Modell (HAPA) des deutschen Gesundheitspsychologen Schwarzer (2004) und das „Transtheoretische Modell“ (TTM) des amerikanischen Psychologen Prochaska (1997).
Als zentrale kognitive Bedingungen des tatsächlich realisierten Gesundheitsverhaltens werden in diesen Modellen meist intentionale und volitionale Prozesse unterschieden. Ob eine Person die Absicht (Intention) für eine Verhaltensänderung ausbildet, setzt voraus, dass sie sich auch selbst als verwundbar wahrnimmt (Risikowahrnehmung), dass sie eine positive Wirkung auf die eigene Gesundheit erwartet (Ergebniserwartung bzw. Kontrollüberzeugung) und dass sie davon überzeugt ist, das Gesundheitsverhalten auch dauerhaft umsetzen zu können (Kompetenz- oder Selbstwirksamkeitsüberzeugung).
Die Bildung einer Intention reicht aber allein nicht aus für eine Verhaltensänderung, vielmehr muss in der Volition („Wille“) auch die Umsetzung der Verhaltensziele konkret geplant und kontrolliert werden, d. h. sie müssen gegen Hindernisse und Widerstände abgeschirmt sowie in ihren Ergebnissen bewertet werden. Dabei sind neben kognitiven Prozessen auch soziale Einflüsse (normative Überzeugungen und soziale Unterstützungen des Gesundheitsverhaltens in der eigenen Bezugsgruppe) und sozialstrukturelle Faktoren (Geschlecht, Alter, sozialer Status) wirksam (Faltermaier, 2017; Schwarzer, 2004); das verweist darauf, dass spezifische Formen des Gesundheitsverhaltens in soziale Kontexte eingebettet sind und über Prozesse der Sozialisation langfristig aufgebaut werden.
Das Krankheitsverhalten umfasst neben der Wahrnehmung von körperlichen Beschwerden und der Erstellung einer „Laiendiagnose“ insbesondere den Umgang mit der Krankheit im Laiengesundheitssystem (Selbstbehandlung, Selbstmedikation, Hilfesuchen) und im professionellen System. Umfangreiche Forschungen befassen sich mit den Versuchen der Bewältigung von krankheitsbezogenen Belastungen (Copingforschung, Stress und Stressbewältigung), den Bedingungen der Inanspruchnahme von und der Kooperation mit professionellen Leistungen (Complianceforschung) sowie mit den subjektiven Krankheitsvorstellungen von Patientinnen und Patienten, die den Umgang mit der eigenen Krankheit und mit den behandelnden Expertinnen und Experten wesentlich beeinflussen.
Gesundheitsförderung und Laiengesundheitssystem
Es wird heute zunehmend erkannt, dass diese Prozesse des Gesundheits- und Krankheitsverhaltens in hohem Maße im „Laiengesundheitssystem“ („lay health care system“) erfolgen (vgl. Faltermaier, 1994; 2017). Viele präventive und auf Krankheit bezogene Aktivitäten werden sozial abgestimmt und organisiert, sozial unterstützt oder gehemmt – vor, gleichzeitig und nach dem Kontakt mit dem professionellen System. Daher sollten professionelle Bemühungen in der Prävention und Gesundheitsförderung darauf achten, zunächst das individuelle und soziale Gesundheitshandeln von Zielgruppen wahrzunehmen, zu explorieren und zu respektieren, bevor professionelle Interventionen und damit Eingriffe in den Alltag von gesunden oder kranken Menschen vorgenommen werden.
Die Subjektorientierung in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften geht von der Kompetenz und der eigenen Handlungslogik von „Laien“ in allen Gesundheitsfragen aus und versteht sie als sozial eingebundene Prozesse. Die Subjektperspektive stellt damit die Grundlage für die in der Gesundheitsförderung geforderte Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger und für die Prozesse des Empowerment/Befähigung von Zielgruppen dar. Die Salutogenese hebt tendenziell die Trennung zwischen Gesundheits- und Krankheitsprozessen auf und fokussiert das Gesundheitshandeln von mehr oder weniger gesunden oder kranken Menschen auf der Grundlage ihrer subjektiven und sozialen Bedingungen.
Literatur:
Faltermaier, T. (1994). Gesundheitsbewußtsein und Gesundheitshandeln: Über den Umgang mit Gesundheit im Alltag. Weinheim: Beltz.
Faltermaier, T. (2017). Gesundheitspsychologie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Kohlhammer.
Prochaska, J. O., & Velicer W. F. (1997). The transtheoretical model of health behavior change. In: American Journal of Health Promotion 12, 1997, S. 38–48.
Schwarzer, R. (2004). Psychologie des Gesundheitsverhaltens: Einführung in die Gesundheitspsychologie. Göttingen: Hogrefe.
Weiterführende Quellen:
Bengel, J., & Jerusalem, M. (Hrsg.) (2009). Handbuch der Gesundheitspsychologie und Medizinischen Psychologie. Göttingen: Hogrefe.
Faltermaier, T. (2005). Subjektive Konzepte und Theorien von Gesundheit und Krankheit. In R. Schwarzer (Hrsg.). Gesundheitspsychologie. Enzyklopädie der Psychologie (S. 31–53). Göttingen: Hogrefe.
Kohlmann, C.-W., Salewski, C., & Wirtz, M.A. (Hrsg.) (2018). Psychologie der Gesundheitsförderung. Göttingen: Hogrefe.
Verweise:
Empowerment/Befähigung, Erklärungs- und Veränderungsmodelle 1: Einstellungs- und Verhaltensänderung, Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Lebensweisen/Lebensstile, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Risikofaktoren und Risikofaktorenmodell, Salutogenese, Soziale Ungleichheit und Gesundheit/Krankheit, Stress und Stressbewältigung, Subjektive Gesundheit: Alltagskonzepte von Gesundheit