Gesundheitsförderung und Hochschule

Mathias Bonse-Rohmann

(letzte Aktualisierung am 17.03.2023)

Zitierhinweis: Bonse-Rohmann, M. (2023). Gesundheitsförderung und Hochschule. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i044-3.0

Zusammenfassung

Frage- und Aufgabenstellungen zur Gesundheitsförderung haben seit etwa 1995 an bundesdeutschen Hochschulen an Bedeutung, Differenzierung und auch Ressourcenausstattung zugenommen, wobei es sich bei Gesundheitsförderung nicht um eine gesetzliche Pflicht, sondern um eine freiwillige Aufgabe von Hochschulen handelt. Über die initialen Interessen von fachlich förderlichen Disziplinen wie Sportwissenschaften, Sozialmedizin oder Psychologie hinaus, können inzwischen auch die sich dynamisch entwickelnden gesundheits- und pflegewissenschaftlichen Studienprogramme als neuere Impulsgeber betrachtet werden.

Schlagworte

Gesunde Hochschulen, Bundesweiter „Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen“, Regionale Netzwerke, Gütekriterien für eine Gesundheitsfördernde Hochschule, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Studentisches Gesundheitsmanagement


Setting Hochschule

Als Gesundheitsfördernde Hochschulen können alle Hochschulen (Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Universitäten sowie weitere besondere Hochschulformen) bezeichnet werden, an denen zumindest einzelne Projekte zur Gesundheitsförderung entwickelt, erprobt und evaluiert werden. Dabei ist es vorteilhaft, wenn diese ihre eigenen Entwicklungen möglichst auch in das offene Netzwerk des bundesweiten „Arbeitskreises gesundheitsfördernde Hochschulen“ (AGH) einbringen, um sowohl von den Erfahrungen anderer Hochschulen zu lernen als auch in einem partizipativen Austausch eigene Strategien und Projekte zur Gesundheitsförderung zu diskutieren.

Das Setting Hochschule, in dessen Studiengängen zum Ende des Wintersemesters 2022/2023 in Deutschland mehr als 2.900.000 Studierende an 423 staatlichen und privaten Hochschulen eingeschrieben waren (Statistisches Bundesamt 2023a), ist zugleich Arbeitsplatz für mehr als 780.000 Beschäftigte, von denen mehr als 275.000 Personen zum hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personal zählen, während rund 350.000 Personen dem nichtwissenschaftlichen Personal (vorrangig in Verwaltung und Technik) zugeordnet werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2023b).

Bedeutsam und in mehrfacher Hinsicht besonders attraktiv für die Gesundheitsförderung ist diese Lebenswelt nicht nur aufgrund der Größe, sondern vor allem, weil in Hochschulen als höchste Bildungseinrichtungen des Landes das akademische Personal für vielfältige Aufgabenbereiche qualifiziert wird: für die die Wirtschaft und den öffentlichen Dienst, für nahezu alle anderen Bildungseinrichtungen, zugleich auch für den Hochschulsektor selber und außerdem für außerhochschulische Forschungseinrichtungen. Inhaltlich und strategisch interessant sind Hochschulen für die Gesundheitsförderung zudem insofern, als hier Lehre, Forschung und Entwicklung als klassische hochschulische Felder zur Einführung, Erprobung und Evaluation von Gesundheitsförderung genutzt werden können − insbesondere dann, wenn es sich um fachwissenschaftlich affine Studienbereiche handelt.

So ist die Lebenswelt Hochschule sowohl für Studierende als auch für Lehrende mit Blick auf deren unmittelbare Beteiligung am Setting Hochschule bedeutsam und noch spezifischer geeignet für Hochschulen mit Studienprogramm, bei den es auch curricular um das Lernen und Lehren von Gesundheitsförderung in der Hochschule geht. Beschäftigte in den Bereichen Verwaltung und Technik sind als weitere Statusgruppen nicht nur analog zu anderen Einrichtungen öffentlicher Institutionen und Betrieben zu berücksichtigen, sondern auch im Dialog bzw. in Kooperation mit den Statusgruppen Studierende, Lehrende und Mitarbeitende des akademischen Mittelbaus in diesem besonderen Setting zu betrachten.

Anfänge in Deutschland

In Deutschland begannen in der ersten Hälfte der 1990-Jahre die niedersächsischen Hochschulen im Forschungsverbund Gesundheitswissenschaften Niedersachsen, die Gesundheitsförderung in den Hochschulen zu etablieren. Darauf aufbauend und angesichts des Interesses weiterer Bundesländer gründete sich bereits 1995 der bundesweite Arbeitskreis „Gesundheitsfördernde Hochschulen“ (AGH), der sich dem Settingansatz (Settingansatz-Lebensweltansatz) der WHO verpflichtet sieht und analog zu weiteren settingbezogenen Netzwerken (Gesunde Regionen, Städte, Schulen, Krankenhäuser) die Vernetzung (Vermitteln und Vernetzen) als eines der zentralen Handlungsprinzipien verfolgt.

Das deutsche Netzwerk, der „Arbeitskreis Gesundheitsfördernder Hochschulen“ (AGH) wird seit 1995 von der „Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V.“ (LVG & AFS bzw. seit 2023 um das Bundesland Bremen erweitert: LVG & AFS Nds. HB e. V.) koordiniert. Seit mehr als zwanzig Jahren wird das Netzwerk auch von einer gesetzlichen Krankenkasse (Techniker Krankenkasse − TK) unterstützt. Im Sinne eines offenen und niedrigschwelligen Netzwerkes sind hier keine förmlichen Mitgliedschaften vorgesehen, so dass aktuell mehr als 400 Personen aus unterschiedlichen Statusgruppen und Ebenen in ca. 150 Hochschulen und hochschulnahen Institutionen über den AGH vernetzt sind. Damit sind in diesem Netzwerk mehr als ein Drittel der bundesweit aktuell 422 Hochschulen vertreten (AGH 2023).

Von der WHO wurden Hochschulen 1997 offiziell zunächst im Rahmen des „Healthy Cities Project“ als Setting der Gesundheitsförderung deklariert (WHO 1997). Kurz zuvor fand 1996 in Lancaster (Vereinigtes Königreich) die erste internationale Konferenz der „Health Promoting Universities“ statt. Es folgten Konferenzen im Jahr 2005 Edmonton/AB (Kanada) mit der Verabschiedung der Edmonton-Charta, 2007 Ciudad Juárez (Mexiko) und 2009 Pamplona (Spanien) sowie 2015 Kelowna/BC (Kanada) mit der Okanagan-Charta als neuester Programmatik für Hochschulen, die sich seit ca. 25 Jahren in der Regel in eigenständigen settingbezogenen Netzwerken organisieren (Tsouros, Dowding, Thompson & Dooris 1998).

Gesundheitsfördernde Hochschule: Orientierung an Gütekriterien

Am 10. Juni 2005 (zehn Jahre nach Gründung des AGH) wurden zur Orientierung für die einzelnen Hochschulen und zugleich als Anspruch der im Netzwerk kooperierenden Hochschulen die „Gütekriterien für eine Gesundheitsfördernde Hochschule“ partizipativ entwickelt und an der Universität Bielefeld verabschiedet. Nach einer grundlegenden Aktualisierung wurden diese am 31. Januar 2020 erneut an der Universität Bielefeld von den Mitgliedshochschulen beschlossen und zusätzlich mit Erläuterungen ausgestattet, die beim Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen detailliert dokumentiert werden (AGH (2020).

  1. Eine gesundheitsfördernde Hochschule arbeitet nach dem Setting-Ansatz.
  2. Eine gesundheitsfördernde Hochschule orientiert sich am Konzept der Salutogenese und nimmt Bedingungen und Ressourcen für Gesundheit umfassend in den Blick. Eine gesundheitsfördernde Hochschule betrachtet Gesundheit als mehrdimensionales Konzept.
  3. Eine gesundheitsfördernde Hochschule erarbeitet und verankert ein Konzept der Gesundheitsförderung in ihrer Hochschulorganisation und Hochschulpolitik.
  4. Eine gesundheitsfördernde Hochschule berücksichtigt Gesundheitsförderung als strukturelle Querschnittsaufgabe bei allen Prozessen und Entscheidungen. Dies bezieht sich auf Beschäftigung, Lehre, Studium, Forschung und Wissensmanagement.
  5. Eine gesundheitsfördernde Hochschule beauftragt eine hochschulweit zuständige Steuerungsgruppe – in der die relevanten Bereiche und Statusgruppen der Hochschule vertreten sind – mit der Entwicklung von gesundheitsförderlichen Strukturen und Prozessen.
  6. Eine gesundheitsfördernde Hochschule betreibt ein transparentes Kommunikations- und Informationsmanagement. Die Hochschule formuliert Ziele und Maßnahmen auf der Grundlage regelmäßiger Analysen und Evaluationen, die im Rahmen einer kontinuierlichen Gesundheitsberichtserstattung zusammengefasst werden.
  7. Eine gesundheitsfördernde Hochschule führt gesundheitsfördernde Maßnahmen für alle Statusgruppen durch, die sich sowohl an einer Verhaltens- als auch Verhältnisdimension orientieren. Dabei sind die Verhaltens- und Verhältnisebene zu verschränken und partizipativ auszurichten.
  8. Eine gesundheitsfördernde Hochschule verpflichtet sich durch die Unterzeichnung der Okanagan-Charta dem normativen Prinzip der nachhaltigen Entwicklung sowie einer globalen und intergenerationellen Gerechtigkeit. Sie fördert die Stärkung von Kompetenzen, die für die Mitgestaltung der gesellschaftlichen Herausforderungen notwendig sind. Hochschulen werden durch Bildung, Lehre, Forschung und Praxistransfer Impulsgeber für einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit für die gesamte Gesellschaft.
  9. Eine gesundheitsfördernde Hochschule integriert in ihr Konzept zur Gesundheitsförderung die Themen Chancengleichheit, Inklusion, Diversity, Gender Mainstreaming sowie Cultural Mainstreaming. Die Steuerungsgruppe schafft Synergien mit allen Personen, die in diesen Bereichen an der Hochschule tätig sind.
  10. Eine gesundheitsfördernde Hochschule vernetzt sich mit ihrer Kommune und innerhalb ihrer Region. Zudem vernetzt sie sich sowohl national als auch international mit anderen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen.

Angesichts der fast drei Jahrzehnte umfassenden Entwicklung und eines Anwachsens der im AGH kooperierenden Hochschulen werden hier nun Differenzierungen vorgestellt, die nach Zielgruppen und hochschulischer Komplexität sowie nach geographischer und strategischer Ausrichtung geordnet werden, wobei keine strenge Chronologie zugrunde gelegt wird.

Zielgruppen und hochschulische Komplexität

In frühen Netzwerktreffen des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen wurde eine Beteilung aller hochschulischen Statusgruppen (Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Bereichen Verwaltung und Technik sowie Lehrende) angestrebt. In den ersten, seit dem Millenniumswechsel vermehrt vorgelegten hochschulischen Gesundheitsberichten dominierte jedoch deutlich die Zielgruppe der Beschäftigten (aus Verwaltung und Technik). Dadurch ging es an Hochschulen wie in anderen (allerdings nicht bildungsbezogenen) Einrichtungen zunächst um ein eher klassisches betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) (Betriebliche Gesundheitsförderung), vermutlich auch, weil dies nicht selten von den gesetzlichen Krankenkassen durch die Bereitstellung von (allerdings nur bedingt für die Gesundheitsförderung relevanten) Arbeitsunfähigkeitsdaten für beschäftigte Versicherte kostenlos unterstützt wurde.

Auch nach dem ersten größeren Gesundheitssurvey für das gesamte Bundesland NRW (Meier, Milz & Krämer 2007; Meier et al. 2010) dauerte es nochmals rund zehn Jahre, bis zunehmend auch die Gesundheit Studierender hochschul- und bundeslandübergreifend analysiert (Grützmacher, Gusy, Lesener, Sudheimer & Willige 2018) und vor diesem Hintergrund ein Studentisches Gesundheitsmanagement (SGM) entwickelt und etabliert wurde. Das Handlungsfeld SGM hat seit Herbst 2016 (Sonntag, Schluck, Steinke, König & Hartmann 2016)und vermehrt seit 2017(Stock 2017; Steinke, König, Niemeyer & Sprenger 2018) in bundesdeutschen Hochschulen erheblich an Bedeutung und Verbreitung zugenommen (Timmann et al. 2022).

Um das Betriebliche Gesundheitsmanagement und das Studentische Gesundheitsmanagement nicht nur verknüpfenden, sondern komplexer und synergetisch zu gestalten, wird in jüngster Zeit auch die Entwicklung eines Hochschulischen Gesundheitsmanagements (HGM) empfohlen: Zu einem ganzheitlicher zu verstehenden HGM (bzw. Universitäres Gesundheitsmanagement − UGM an Universitäten)gehörendie „Integration des Themas Gesundheit als Querschnittsaufgaben einer Hochschule, sodass Gesundheit und Wohlbefinden in den Kernprozessen und Strukturen der Hochschule abgebildet werden (…) (und) in das Qualitätsmanagement und das Controlling- bzw. Kennzahlensystem der Hochschule aufgenommen wird (…) (und ferner auch der) Einsatz geeigneter Instrumente und die Einrichtung von einschlägigen Fachdiensten“ (Meier & Steinke 2023).

Bundesweiter Arbeitskreis und regionale Netzwerke

Vorrangig aufgrund räumlicher Entfernungen, aber auch als Chance eines besonderen Zugangs zur sogenannten DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) wurde bereits 2007 (zwölf Jahre nach Etablierung des bundesweiten AGH) der „Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen Südwest“ eingerichtet. Weitere zehn Jahre später folgte die Gründung des Austauschforums „Von Hochschule für Hochschule der Initiative Gesunde Hochschulen in Thüringen“. In kurzer Abfolge wurden 2019 das „Netzwerk Gesunde Hochschulen NRW (April 2019) und das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Hochschulen Sachsen-Anhalt“ (Mai 2019) gegründet, bevor das „Netzwerk Gesunde Hochschulen – Nord“ im April 2021 als regionales Netzwerk für die Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern seine Auftaktveranstaltung hatte. Im Gründungsprozess befindet sich (Stand März 2023) das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Hochschulen Berlin Brandenburg“ als Kooperationsprojekt der Freien Universität Berlin, der Technischen Hochschule Wildau und der Techniker Krankenkasse.

Die regionalen Netzwerken werden mehrheitlich seit dem Jahr 2017 von der Techniker Krankenkasse gefördert. Das „Netzwerk Gesundheitsfördernde Hochschulen Sachsen-Anhalt“ organisiert sich seit Januar 2023 in Selbstverwaltung ohne Koordination. Für Bayern ist zudem die Arbeitsgemeinschaft Suchtprävention und Gesundheitsförderung an bayrischen Hochschulen (AGSG) aktiv.

Hinzu kommt als eine weitere Differenzierung das 2018 gegründete „Kompetenzzentrum Gesundheitsfördernde Hochschulen“ (KGH), mit dem auch auf die Aufgabenfülle des bundesweiten Arbeitskreises Gesundheitsfördernder Hochschulen reagiert wurde.

Dieses ebenfalls von der Techniker Krankenkasse geförderte Projekt hat sich vor allem im Hinblick auf die neuen Anforderungen zur Einführung eines Studentischen Gesundheitsmanagements (SGM) und Fragestellungen der Digitalisierung an Hochschulen während der Corona-Pandemie verdient gemacht, ebenso hinsichtlich der psychosozialen Folgen einer zwischenzeitlich ausschließlich digitalen Lehre. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungenkonzentriert sich der Arbeitskreis Gesundheitsfördernder Hochschulen weiterhin auf regelmäßige Treffen, die Begleitung und den Austausch mit den regionalen Netzwerken und damit überwiegend auf die nationale Koordinierung der Gesundheitsfördernden Hochschulen in Deutschland.

Förderung von Netzwerken und Projekten

Jenseits finanzieller Förderungen durch gesetzliche Krankenkassen oder durch Fördermittel der Bundesländer (z. B. in Baden-Württemberg seit 2007) soll auf eine seit 2015 zunehmend genutzte Finanzierungsquelle für die Gesundheitsförderung an Hochschulen hingewiesen werden: Nach langjähriger Diskussion trat 2015 das Präventionsgesetz in Kraft. Seitdem stehen für die Gesundheitsförderung und Prävention jährlich 500 Millionen Euro zur Verfügung, die insbesondere über die gesetzlichen Krankenkassen eine „Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention“ in unterschiedlichen Settings bewirken sollen und zunehmend auch das Ziel einer Förderung entsprechender Projekte in der Lebenswelt Hochschule eingesetzt werden. Hingewiesen sei auch spezifischer auf das SGB V, § 20 a−f, innerhalb dessen zwei Förderbereiche (§ 20a und § 20b), die eine nationale und eine länderspezifische Komponente aufweisen. Die Umsetzung wird demnach von den Sozialversicherungen, insbesondere den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verantwortet.

Auf Bundesebene ist die Strukturbildung mit der Nationalen Präventionskonferenz, der Nationalen Präventionsstrategie, den Bundesrahmenempfehlungen und dem Nationalen Präventionsforum gesetzlich vorgegeben. Durch die Stärkung des Lebensweltansatzes unter Berücksichtigung „des Studierens“ (§ 20a) sind die Hochschulen und fast drei Millionen Studierende im Präventionsgesetz direkt angesprochen (Hartmann, Baumgarten, Hildebrand & Sonntag 2016). Auch wird im Leitfaden Prävention der GKV (2022) auf Handlungsfelder und Kriterien nach § 20 Abs. 2 SGB V zur Umsetzung der §§ 20, 20a und 20b SGB V hingewiesen und dabei explizit das Setting „Gesundheitsfördernde Hochschule“ aufgeführt. Deshalb können entsprechende Mittel für Projekte zur individuellen (verhaltensbezogenen) Prävention ebenso wie zur betrieblichen Gesundheitsförderung (settingbezogen) beantragt werden.

Über die langjährige Förderung des AGH hinaus sei betont, dass die regionalen Netzwerke zu Gesunden bzw. Gesundheitsfördernden Hochschulen seit 2017 ebenso von der Techniker Krankenkasse gefördert werden, wie seit 2018 auch das Kompetenzzentrum Gesundheitsfördernde Hochschulen. Hinzu kommt eine Fülle von Einzelprojekten zum Studentischen Gesundheitsmanagement an einer Reihe von Hochschulen und Universitäten. Zu erwähnen ist ferner, dass inzwischen weitere gesetzliche Krankenkassen (z. B. die AOK Rheinland/Hamburg oder die BARMER Krankenkasse) das Setting Hochschule für die Gesundheitsförderung als bedeutsam erkannt haben und sich vermehrt durch Projektförderungen engagieren. Hierbei ist insgesamt davon auszugehen, dass die inzwischen deutlich umfangreicheren Fördermittel der gesetzlichen Krankenkassen maßgeblich aus den Mitteln nach dem Präventionsgesetz stammen.

Evaluationsergebnisse

Seitens des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen wurde 2018 eine empirische Befragung durchgeführt bzw. eine Studie vorgelegt (Michel et al. 2018), die Auskunft zur Umsetzung von Gesundheitsförderung in den Hochschulen gibt. Im Wesentlichen folgen die Hochschulen in ihren Aktivitäten und Einrichtungen (z. B. Hochschulsport, Mensen, Wohnheime) dem allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs zu gesundheitsbezogenen Lebensstilfragen. Dieses betrifft Handlungsfelder wie den Nichtraucherschutz, die Alkoholprävention, die Ausweitung sportlicher Aktivitäten sowie Angebote für eine ausgewogene Ernährung.

Auf der Organisationsebene hat der Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) (Betriebliche Gesundheitsförderung) durch die Einstellung von Koordinatorinnen und Koordinatoren für die Gesundheitsförderung an Hochschulen in den letzten Jahren nochmals zugenommen, was auch entsprechende Stellenausschreibungen anzeigen. Ferner liegt für die wissenschaftlich Beschäftigten seit 2017 eine erste Bestandsaufnahme zu ihrer gesundheitlichen Lage vor, die zu einer stärkeren Berücksichtigung in den Strategien zur Gesundheitsförderung im Setting Hochschule führen soll (Lesener & Gusy 2017).

Diese Befunde wie auch die Studien zur Gesundheit Studierender in Deutschland sind Hintergrund dafür, dass es an Hochschulen zu einer Erweiterung der Angebote kommen kann, die über den klassischen gesetzlichen Arbeitsschutz hinausgehen und ressourcenorientierte Handlungsfelder wie die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) berücksichtigen. Durch eine Kombination der gesetzlich verpflichtenden Aufgaben des betrieblichen Arbeitsschutzes und des betrieblichen Eingliederungsmanagements wird so durch ein verstärktes (freiwilliges) Engagement im Bereich der Gesundheitsförderung ein komplexeres betriebliches Gesundheitsmanagement an Hochschulen aufgebaut (Hartmann, Greiner & Baumgarten 2017). Beobachtet werden kann seit Beginn der Corona-Pandemie und den Berichten über psychosoziale Belastungen auch bei Studierenden, dass Funktions- bzw. Stabsstellen zum Studentischen Gesundheitsmanagement (SGM) an Hochschulen vermehrt eingerichtet werden.

Perspektiven

Gesundheitsförderung hat sich inzwischen durchaus als eigenständige Disziplin in Lehre und Forschung an den Hochschulen in Deutschland etabliert. In Wechselwirkung damit steht auch die Entwicklung der Hochschule zu einer gesunden Organisation (Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung), verbunden mit dem Potenzial, Gesundheitsförderung in die Region zu transferieren.

Gesundheitsfördernde Hochschulen haben sich also zu einem eigenständigen Forschungs- und Handlungsfeld entwickelt und sind damit zugleich als ein multifaktorielles Schlüsselsetting diejenige Lebenswelt, in der durch Forschung, Lehre und Praxistransfer wissenschaftliche Erkenntnisse und wichtige Impulse zur gesundheitsförderlichen Entwicklung weiterer Settings gegeben werden. Idealerweise können Absolventinnen und Absolventen unterschiedlichster Fachrichtungen ihre Erfahrungen mit der Gesundheitsförderung (SGM, BGM und ggf. sogar HGM) in ihre späteren Berufsfelder übertragen.

Kritisch sei angemerkt, dass es hinsichtlich der Förderung von Netzwerken und Projekten im Setting Hochschule durch die gesetzlichen Krankenkassen (vorrangig aus Mitteln nach dem Präventionsgesetz) bislang weder um Forschungsförderung (im engeren Sinne) noch um einen verstärkten und systematischen Austausch mit internationalen Entwicklungen von Netzwerken und Projekten zur Gesundheitsförderung an Hochschulen geht. Mit Blick auf Drittmittelförderungen durch Ministerien und andere klassische Drittmittelförderer wie auch im Hinblick auf eine sehr fruchtbare Internationalisierung der Gesundheitsförderung im Setting Hochschule sind wichtige Herausforderungen daher noch offen (IHPU & C 2023).

Literatur:

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Weiterführende Literatur:

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Meißner, P., Bonse-Rohmann, M., Brähler, N., Heiligmann, S., Köhler, A. & Sting, A.-L.: (2021). Lehr- und Lernkonzept zur Gesundheitsförderung, Sucht- und Tabakprävention in Studiengängen für Gesundheits- und Pflegeberufe. Online-Veröffentlichung der Bibliothek der Hochschule Hannover. doi: https://doi.org/10.25968/opus-1913.

Internetadressen:

Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen:
www.gesundheit-nds-hb.de/projekte/arbeitskreis-gesundheitsfoerdernde-hochschulen

Kompetenzzentrum Gesundheitsfördernder Hochschulen:
www.kompetenzzentrum-gesunde-hochschulen.de

Okanagan-Charta (2015):
www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen-sw.de/wp-content/uploads/2018/07/Okanagan-Charta-2018-DE.pdf

Verweise:

Betriebliche Gesundheitsförderung, Organisationsentwicklung als Methode der Gesundheitsförderung, Präventionsgesetz, Settingansatz/Lebensweltansatz, Vermitteln und Vernetzen

Ute Sonntag, Stephanie Schluck und Thomas Hartmann danke ich für ihre Vorfassungen dieses Leitbegriffes.