Gesundheitsförderung im Kindesalter

Antje Richter-Kornweitz , Christina Kruse

(letzte Aktualisierung am 24.11.2023)

Zitierhinweis: Richter-Kornweitz, A. & Kruse, C. (2023). Gesundheitsförderung im Kindesalter. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i041-3.0

Zusammenfassung

Angebote zur Gesundheitsförderung im Kindesalter zielen darauf ab, Kinder zu gesundheitsförderlichem Handeln zu befähigen. Zentrales Anliegen ist es, ihre Ressourcen zu stärken und Belastungen zu minimieren. Sowohl das psychische und physische Wohlbefinden als auch der soziale Kontext der Kinder werden dabei berücksichtigt. Weil die gesundheitliche Situation von Mädchen und Jungen in Deutschland stark vom sozio-ökonomischen Status ihrer Familien abhängt, setzt eine gelingende Gesundheitsförderung voraus, dass Berufsgruppen aus unterschiedlichen Settings zusammenarbeiten. Dazu zählen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes, der Frühen Hilfen und Präventionsketten, der Krankenkassen sowie insbesondere der Bildungs- und Betreuungsinstitutionen.

Schlagworte

Gesundheitsförderung, Kindesalter, Entwicklung, Kommune, Präventionskette


Gesundheitsförderung im Kindesalter richtet sich auf die Förderung des sozialen, psychischen und physischen Wohlbefindens (Wohlbefinden/Well-Being) von Kindern. Im Mittelpunkt stehen die Stärkung von Ressourcen und die Senkung von Belastungen bei Mädchen und Jungen. Grundlage dafür sind die Empfehlungen der Ottawa-Charta der WHO und deren Weiterentwicklungen (Gesundheitsförderung 1: Grundlagen; Gesundheitsförderung 2: Entwicklung vor Ottawa 1986). Entsprechend zielt sie darauf, Kinder zu gesundheitsförderlichem Handeln zu befähigen und gesundheitsgerechte Rahmenbedingungen (Verhältnisse) zu schaffen.

Gesundheitsförderung im Kindesalter soll alters- und geschlechtsspezifisch gestaltet sein und einen Soziallagenbezug haben. Sie berücksichtigt die eigenen Vorstellungen, die Mädchen und Jungen von ihrer Gesundheit haben, sowie ihren kulturellen Hintergrund (Diversity und Diversitymanagement/Vielfalt gestalten). Gesundheitsfördernde Angebote werden an der jeweiligen spezifischen Personengruppe und an deren Lebenswelt (Settingansatz/Lebensweltansatz) ausgerichtet sowie an Qualitätskriterien, die eine umfassende Beteiligung möglich machen.

Soziale Lage und Kindergesundheit

Gesundheitsförderung im Kindesalter orientiert sich an der aktuellen Datenlage zur Gesundheit von Mädchen und Jungen. Neben den Daten der auf kommunaler Ebene erhobenen Schuleingangsuntersuchungen tragen dazu wesentlich der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts (KiGGS) mit bundesweit repräsentativen, umfassenden Erkenntnissen bei. Er steuerte Daten zur körperlichen und seelischen Gesundheit von Mädchen und Jungen verschiedener Altersgruppen bei, zu ihrer sozialen Lage und Lebenssituation sowie zu Gesundheitsverhalten und Gesundheitsversorgung. Aus ergänzenden Teilstudien liegen außerdem umfassende Daten zu Umweltbelastungen, zum Ernährungs- und Bewegungsverhalten, zur psychischen Gesundheit sowie längsschnittliche Untersuchungen vor (vgl. RKI 2007, RKI 2008 und RKI/BZgA 2008).

Die KiGGS-Studien belegen, dass der größte Teil der Kinder in Deutschland gesund ist. Allerdings zeigen die Daten auch eine Verschiebung des Krankheitsspektrums, die von den akuten zu überwiegend chronisch-körperlichen und von körperlichen zu psychischen Gesundheitsstörungen verläuft. Diese werden mit dem Begriff der „Neuen Morbidität“ bezeichnet (vgl. Schlack, Kurth & Hölling 2008, S. 256 ff.). Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass die Chancen für eine gute Entwicklung von Lebensbeginn an sehr verschieden sind.

Der Gesundheitszustand von Mädchen und Jungen wird in hohem Maß vom sozio-ökonomischen Status ihrer Familien geprägt (vgl. Kuntz, Rattay, Poethko-Müller, Thamm, Hölling & Lampert 2018; Poethko-Müller, Kuntz, Lampert & Neuhauser 2018). So ergibt sich für 3- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischem Status ein im Verhältnis zu den Gleichaltrigen aus Familien mit hohem sozio-ökonomischem Status um etwa das Dreieinhalbfache erhöhte Risiko für einen mittelmäßigen bis sehr schlechten allgemeinen Gesundheitszustand (vgl. Lampert, Müters, Stolzenberg & Kroll 2014, S. 766).

Anhand der Daten der KiGGS-Kohorte konnte gezeigt werden, dass Elternangaben wichtige Hinweise auf die Entwicklung des Gesundheitsstatus geben. Laut KiGGS2 (Poethko-Müller, Kuntz, Lampert & Neuhauser 2018) sinkt die „sehr gute“ Einschätzung der Kindergesundheit aus elterlicher Sicht statusbedingt. Bei beiden Geschlechtern zeigt sich außerdem eine Differenz von etwa 20 % zuungunsten der Kinder aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischem Status (SES) gegenüber jenen mit hohem (vgl. Poethko-Müller, Kuntz, Lampert & Neuhauser 2018).

„Sehr gute Gesundheit“
Mädchen (3 bis 17 Jahre)

„Sehr gute Gesundheit“
Jungen (3 bis 17 Jahre)

sES niedrig

50,4 %

sES niedrig

46,6 %

sES mittel

56,7 %

sES mittel

50,4 %

sES hoch

71,3 %

sES hoch

66,1 %

Tab. 1: Elterneinschätzung „sehr gute“ Gesundheit bei Mädchen und Jungen nach SES. Quelle: Eigene Darstellung nach Poethko-Müller, Kuntz, Lampert & Neuhauser 2018, S. 10.

Armutserfahrungen und ihre Auswirkungen

Von Armut und ihren Folgen betroffen sind vor allem Kinder von langzeitarbeitslosen Eltern und Alleinerziehenden, aus Familien mit drei oder mehr Kindern sowie Familien mit Migrationshintergrund (vgl. Funcke, Kruse & Menne 2016; WSI 2017). Armutserfahrungen führen zu einer Unterversorgung in zentralen Lebensbereichen, deren Folgen die körperliche, psychische und soziale Entwicklung von Kindern belasten können. Dabei wirken vor allem lang andauernde Armutsphasen sowie die mit Langzeitarmut oft verbundene Verkettung und intergenerationelle Weitergabe der Belastungen negativ auf die kindliche Entwicklung und verfestigen zudem ungleiche Gesundheits- und Bildungschancen auch im späteren Erwachsenenalter, beispielsweise durch Einkommensarmut (vgl. Böhnke & Heizmann 2013).

Fehlende materielle Teilhabe ist eine schwerwiegende Belastung, die Familien im unteren Einkommensbereich bewältigen müssen. Eine andere ist das häufig geäußerte Vorurteil, einkommensarme Familien würden ihre finanziellen Mittel nicht in ausreichendem Maß für die Kinder, sondern eher für den elterlichen Konsum verwenden. Dem treten Studien entgegen, die eine gleichwertige Verwendung der vorhandenen finanziellen Mittel für die Bedarfe von Kindern in einkommensarmen gegenüber nicht-armen Familien bestätigen. Die Finanzmittel werden nicht zweckentfremdet, sondern für das Wohlergehen der Kinder eingesetzt (vgl. Kirchmann, Kleimann & Schafstädt 2014 und Stichnoth 2018). Ausgaben für Bildung, Ausbildung und Kinderbetreuung liegen in einkommensarmen Familien zwar in absoluten Zahlen niedriger als im Bevölkerungsdurchschnitt, nicht jedoch im Verhältnis zu den Einkommen bzw. den Konsumausgaben insgesamt (vgl. Stichnoth 2018).

Besonders deutlich zeigten sich die Folgen der COVID-19-Pandemie und der damit zusammenhängenden Einschränkungen auf die kindliche Entwicklung und Gesundheit unter anderem bei den Schuleingangsuntersuchungen in dieser Zeit (Bantel, Buitkamp & Wünsch 2021). Diverse Studien wiesen über alle Altersstufen von Kindern und Jugendlichen hinweg einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen Status und Gesundheitszustand und -verhalten nach: „Soziale Benachteiligung in Form von geringem Zugang zu Bildung, Ausbildung und Einkommen und damit täglichen Sorgen um die eigene finanzielle Lage, die Zukunft und die gesellschaftliche Teilhabe im Vergleich mit anderen Familien, zeigt sich durchgehend in allen Studien als Risikofaktor für gesundheitliche und auch psychische Belastungen bei Kindern und Jugendlichen.“ (Die Bundesregierung 2023, S. 11) Neben der Förderung von Ernährung und Bewegung werden Maßnahmen im Bereich des psychischen Wohlergehens und der Mediennutzung nach der Pandemie für diese Altersgruppen deshalb als besonders dringlich erachtet.

Einkommensarmut bestimmt sowohl das Hier und Jetzt als auch die Zukunft der Kinder und ihre Handlungs- und Entfaltungsspielräume der Daseinsgestaltung. Sie nimmt außerdem Einfluss auf die Verwirklichungschancen elterlicher Aspirationen auf Fürsorge, Unterstützung und Bildung ihrer Kinder (vgl. Bertram 2013; Andresen & Galic 2015; Andresen, Wilmes & Möller 2019). Die Folgen für den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten sind insofern vorrangig als Symptom zu verstehen. Gesundheitsförderung im Kindesalter muss diese Situation und die damit verbundenen besonderen Bedürfnisse von Mädchen und Jungen aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischen Status im Speziellen berücksichtigen.

Kindliche Entwicklung als Orientierungsrahmen der Gesundheitsförderung

Das thematische Spektrum von Angeboten zur Gesundheitsförderung im Kindesalter orientiert sich an den Ergebnissen der aktuellen Studien zur Kindergesundheit. Auch die bereits im Jahr 2009 ausgesprochenen Empfehlungen des 13. Kinder- und Jugendberichtes, welche die Phasen kindlicher Entwicklung als Orientierungsrahmen vorgegeben, sind nach wie vor aktuell (vgl. BMFSFJ 2009 und Sachverständigenkommission 2010). Dort werden die gesundheitsrelevanten Entwicklungsthemen für eine lebensphasenspezifische Gesundheitsförderung exemplarisch benannt.

Nach der Förderung von sicherer Bindung und Autonomiestreben im frühen Kindesalter steht im Alter von drei bis sechs Jahren die Förderung der Sprache und der kommunikativen Möglichkeiten im Vordergrund; außerdem die Förderung von Achtsamkeit, was u. a. die Förderung des sozialen Lernens sowie die Entwicklung altersgerechter Handlungskompetenzen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Selbstwirksamkeit) beinhaltet. Vorrangige Entwicklungsaufgaben von Kindern bis zu zwölf Jahren liegen in der Aneignung der sozialen Umwelt und ihrer aktiven Gestaltung. Darin liegen Potenziale zur Stärkung des Selbstwertgefühls und der Identität.

Aufgabe von Gesundheitsförderung im Kindesalter ist außerdem eine geschlechtersensible Förderung von Kindern unter Beachtung der unterschiedlichen Bedeutung von Körperlichkeit für Mädchen und Jungen für ihre Identitätsentwicklung.

Die einzelnen Entwicklungsthemen sind in allen Lebensphasen eng verknüpft. Die Förderung von Sprache, von Freude an Bewegung und gesunder Ernährung sind beispielsweise übergreifende Themen, die parallel verlaufende Entwicklungsprozesse und nachfolgende -schritte positiv beeinflussen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht benennt in diesem Kontext zwölf Leitlinien und fünf dringliche Ziele für ausgewählte Bereiche der Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter (vgl. BMFSFJ 2009 und Tab. 2) und formuliert darauf aufbauend umfassende Empfehlungen an die Kinder- und Jugendhilfe und an die Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

12 Leitlinienbereiche

5 Ziele

 
  1. Stärkung der Lebenssouveränität
  2. Gesellschaftsbezug
  3. Lebenswelt- und Kontextbezug
  4. Förderung positiver Entwicklungsbedingungen
  5. Befähigungsgerechtigkeit
  6. Bildungsgerechtigkeit
  7. Inklusion
  8. Achtsamer Körperbezug, kommunikativer Weltbezug, reflexiver Bezug
  9. Lebensverlaufsperspektive
  10. Interprofessionelle Vernetzung
  11. Von einer Anbieter- zu einer Akteursperspektive
  12. Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
 
 
  1. Frühe Förderung der Entwicklung von Kindern mittels einer breit angelegten und umfassenden kommunalen Infrastruktur.
  2. Bewegungsförderung mittels kontinuierlicher, fachlich qualifizierter Angebote sowie Förderung gesunder Ernährung durch kostenfreie, gesunde Verpflegung in Kitas und Schulen für alle Heranwachsenden, ohne dass dies an anderer Stelle zu Kürzungen an kindbezogenen Sozialleistungen führt.
  3. Frühe Sprachförderung mit dem Ziel der Steigerung der Sprachkompetenz, insbesondere von Kindern in herausfordernden Lebenslagen und mit Migrationshintergrund.
  4. Flächendeckender Ausbau der Angebote und Netzwerke der Prävention und Gesundheitsförderung im Schulalter im Rahmen der Angebote schulbezogener Kinder- und Jugendhilfe.
  5. Umfassende Unterstützung der psychosozialen Entwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
 

Tab. 2: Leitlinien und Ziele der Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter. Quelle: BMFSFJ 2009, S. 250 ff.

Auf den weiteren Verlauf der kindlichen Entwicklung und die Bewältigung von Belastungen wirkt sich vor allem die Verfügbarkeit von personalen und sozialen Ressourcen (Resilienz und Schutzfaktoren) aus. Diese können auf verschiedenen Ebenen identifiziert werden, d. h. als individuelle Persönlichkeitsmerkmale, Merkmale des engeren familiären Umfeldes oder des außerfamiliären Unterstützungssystems. Entsprechend richtet sich Gesundheitsförderung im Kindesalter nicht nur auf die individuelle körperliche und psychische Gesundheit von Kindern, sondern auch auf die Stärkung sozialer Ressourcen in ihrer Familie und Lebenswelt. Ziel ist es, gesundheitsrelevantes Verhalten alltagsnah zu vermitteln und Rahmenbedingungen zu entwickeln, die ein gesundheitsgerechtes Verhalten erst möglich machen.

Systematische Verankerung von Gesundheitsförderung in der Kindheit

Ein Vorgehen nach diesem Ansatz ist gekennzeichnet durch sektorenübergreifende, interprofessionelle Vernetzung und Zusammenarbeit von Berufsgruppen, z. B. den Fachkräften aus dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst, den Frühen Hilfen und Präventionsketten, der Kinder- und Jugendhilfe, den Krankenkassen, Bildungs- und Betreuungsinstitutionen in Settings wie Kita und Schule oder dem Stadtteil und der Nachbarschaft.

Dies umfasst auch den Dialog mit Eltern in einem vertrauensvollen und offenen Klima, mit einer durch Respekt, Wertschätzung und Ebenbürtigkeit gekennzeichneten Haltung. Erforderlich ist, Orientierungswissen zu vermitteln, das Eltern den Zugang zu verschiedenen Systemen der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitssystems erleichtert und ihnen Weitergabe und Anwendung von alltagsgerechtem Gesundheitswissen und gesundheitsrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen innerhalb der Familie ermöglicht.

Gesundheit wird im Alltag hergestellt und auch dort vermittelt. Gesundheitsförderung im Kindesalter orientiert sich daher am Setting (Settingansatz/Lebensweltansatz). Dementsprechend werden praxisfeldbezogene und alltagsgerechte Ansätze mit und für Kindertageseinrichtungen, Schulen, Familien, Stadtteile oder Nachbarschaften entwickelt. Sie berücksichtigen Lebens- und Arbeitsprinzipien in der jeweiligen Lebenswelt und ermöglichen die Beteiligung und Mitarbeit aller Gruppen und Institutionen

Präventionskette: Kommune als Handlungsort

Die Zusammenführung der Aktivitäten im gesamten Setting Kommune leistet der Ansatz der Strategieentwicklung und Strukturbildung. Als integrierte kommunale Gesundheitsförderungs- und Präventionsstrategie zielt eine Präventionskette (Präventionskette/Integrierte kommunale Gesundheitsstrategie) darauf, allen Heranwachsenden positive Lebens- und Teilhabebedingungen zu eröffnen. Ziel ist, bestehende Ressourcen zu bündeln und sie für die Mädchen und Jungen und ihre Familien zu eröffnen, wenn ihr Zugang dazu eingeschränkt ist. Auf diese Weise soll auch das Präventionsdilemma überwunden werden.

Eine Präventionskette stellt dabei kein „weiteres Netzwerk“ dar. Vielmehr basiert sie auf der Zusammenführung und strategisch-konzeptionellen Ausrichtung kommunaler Netzwerke zur Förderung, Unterstützung, Beratung, Bildung, Betreuung, Partizipation und zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien. Sie dient außerdem der konsequenten Ausrichtung von Angeboten und Maßnahmen auf den Bedarf und die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. Die Sicherung von Übergängen für das Kind und seine Familie zwischen Angeboten, Institutionen, Settings zwischen Kindheit und Jugend gehört dabei zu den wesentlichen Teilzielen (vgl. Richter-Kornweitz 2019).

Zu den spezifischen Merkmalen einer Präventionskette zählen die übergreifende und lebensphasenorientierte Zusammenarbeit aller verantwortlichen öffentlichen und gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure und Institutionen, die dazu beitragen können, ein gemeinsam gesetztes Präventionsziel zu erreichen. Zudem sollen die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien umfassend beteiligt werden. Das Konzept folgt der Philosophie von der „Priorität der Partizipation“ (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) und misst dem Kindeswillen der Heranwachsenden hohe Bedeutung bei. Kennzeichnend sind neben der Kindzentriertheit die explizite Lebensweltorientierung und der Wechsel von der Risiko- zur Ressourcenperspektive (vgl. Kruse & Richter-Kornweitz 2017).

Gesundheitsförderung im Kindesalter als kommunales Organisationsziel

Nach diesem umfassenden Verständnis ist die Gesundheitsförderung im Kindesalter ein voraussetzungsvolles Vorhaben und kein kurzfristiges Projekt für eine einzelne Institution oder Person. Vielmehr gilt Gesundheitsförderung in den Präventionsketten als Leitorientierung für Strategieentwicklung und Strukturbildung und somit als ein Organisationsziel im Setting Kommune (Settingansatz/Lebensweltansatz)

Das Vorgehen gleicht dabei einem Lernzyklus, bei dem es darauf ankommt, zielgerichtet, geplant, systematisch und vor allem bedarfsorientiert vorzugehen. Zur Ermittlung des Bedarfs und themenspezifischer Angebote werden Mädchen und Jungen und ihre Familien und/oder die Fachkräfte der jeweiligen Institutionen durch geeignete Beteiligungsverfahren in die Maßnahmenentwicklung, -planung und -durchführung einbezogen.

Zur Qualitätssicherung sollten dabei Prinzipien des Empowerments, der Partizipation, der Niedrigschwelligkeit und Zielgruppenorientierung berücksichtigt werden. Hinweise auf weitere relevante Qualitätskriterien einer „Guten Praxis“ (Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung/Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit) sowie erprobte Konzepte und Ansätze sind unter den unten angegebenen Internetadressen zu finden.

In den letzten Jahren konnten in vielen Kommunen und Bundesländern erfolgreiche Präventionsketten auf- und ausgebaut werden. Viele von ihnen beschränken sich in ihrer Zielsetzung nicht auf das gesunde Aufwachsen möglichst aller Kinder, sondern wählen eine Schwerpunktsetzung in Richtung Prävention von Armutsfolgen. Erste Erkenntnisse belegen die strukturell-armutspräventive Wirkung auf der kommunalen Organisationsebene (Kruse & Humrich 2023). Belege für die armutspräventive Wirkung auf der Angebotsebene für Kinder und ihre Familien stehen noch aus.

Zu beantworten wird die Frage sein, ob insbesondere arme Kinder und ihre Familien Präventionsketten in Anspruch nehmen und von ihnen profitieren – auch im Sinne einer umfassenden Gesundheitsförderung. Sollte dies gelingen, wäre das ein weiterer Grund für die flächendeckende Verankerung von Präventionsketten und müsste mit den entsprechenden Ressourcen versehen werden (Kruse & Richter-Kornweitz 2021).

Literatur:

Andresen, S. & Galic, M. (2015). Kinder. Armut. Familie. Alltagsbewältigung und Wege zu wirksamer Unterstützung. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Andresen, S., Wilmes, J. & Möller, R. (2019). Children´s Worlds+. Eine Studie zu Bedarfen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Bantel, S., Buitkamp, M. & Wünsch, A. (2021). Kindergesundheit in der COVID-19-Pandemie: Ergebnisse aus den Schuleingangsuntersuchungen und einer Elternbefragung in der Region Hannover. Bundesgesundheitsblatt − Gesundheitsforschung − Gesundheitsschutz 64(12): S. 1.541–1.550. doi:10.1007/s00103-021-03446-2.

Bertram, H. (Hrsg.) (2013). Reiche, kluge, glückliche Kinder? Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa.

Die Bundesregierung (2023). Interministerielle Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“. Abschlussbericht. Berlin/Bonn. Zugriff am 21.11.2023 unter www.bmfsfj.de/resource/blob/214866/fbb00bcf0395b4450d1037616450cfb5/ima-abschlussbericht-gesundheitliche-auswirkungen-auf-kinder-und-jugendliche-durch-corona-data.pdf.

Böhnke, P. & Heizmann, B. (2013). Die intergenerationale Weitergabe von Armut bei MigrantInnen zweiter Generation. Heidelberg: Springer.

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2009). 13. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin. Zugriff am 21.11.2023 unter www.bmfsfj.de/blob/93144/f5f2144cfc504efbc6574af8a1f30455/13-kinder- jugendbericht-data.pdf.

Funcke, A., Kruse, C. & Menne, S. (2016). Kinderarmut. Kinder im SGB-II-Bezug in Deutschland. Factsheet. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Zugriff am 21.11.2023 unter www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/291_2020_BST_Facsheet_Kinderarmut_SGB-II_Daten__ID967.pdf.

Kirchmann, A., Kleimann, R. & Schafstädt, C. (2014). Das Ausgabeverhalten von Familien und die subjektive Lage materiell armer Kinder in Baden-Württemberg. Forschungsprojekt im Auftrag der FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt. Stuttgart. Zugriff am 21.11.2023 unter www.statistik-bw.de/FaFo/Analysen/ArmutReichtum/ArmutReichtum_UntAuftr_ArmAusg.pdf.

Kruse, C. & Humrich, W. (2023). „Präventionsketten Niedersachsen“ wirken!“ Strukturelle Armutsprävention durch Präventionsketten. Hannover: LVG & AFS NDS e. V. Zugriff am 21.11.2023 unter www.praeventionsketten-nds.de/fileadmin/media/downloads/Papier_Pr%C3%A4ventionsketten_NDS_wirken/Pra%CC%88ventionsketten__wirken__23_WEB.pdf.

Kruse, C. & Richter-Kornweitz, A. (2017). Kommunale Präventionsketten: Mehr Teilhabe für Kinder durch Strategieentwicklung & Strukturbildung. Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, 4, S. 137–140.

Kruse, C. & Richter-Kornweitz, A. (2021). Positionen. Präventionsketten verankern. Hannover: LVG & AFS NDS e. V. Zugriff am 21.11.2023 unter www.praeventionsketten-nds.de/fileadmin/media/downloads/Positionspapier_Pr%C3%A4ventionsketten_verankern/Positionspapier_Praeventionsketten_verankern.pdf.

Kuntz, B., Rattay, P., Poethko-Müller, C., Thamm, R., Hölling, H. & Lampert, T. (2018). Soziale Unterschiede im Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2. Journal of Health Monitoring, 3, S. 19–36.

Lampert, T., Müters, S., Stolzenberg, H. & Kroll, L. E. (2014). Messung des sozio-ökonomischen Status in der KiGGS-Studie. Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1). Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 57, S. 762–770.

Poethko-Müller, C., Kuntz, B., Lampert, T. & Neuhauser, H. (2018). KiGGS Welle 2 – Erste Ergebnisse aus Querschnitt- und Kohortenanalysen. Journal of Health Monitoring, 3(1), S. 8–14.

Richter-Kornweitz, A. (2019). Präventionsketten Niedersachsen – Strategieentwicklung und Strukturbildung im Fokus der Qualitätsentwicklung. In: P. Kolip: Praxishandbuch. Qualitätsentwicklung und Evaluation in der Gesundheitsförderung (S. 161–178). Weinheim/Basel: Beltz Juventa.

RKI – Robert Koch-Institut (2007). Die KiGGS Basispublikationen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 50 (5/6). Zugriff am 21.11.2023 unter www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/Basiserhebung/kiggs_basispublikation.html.

RKI/BZgA – Robert Koch-Institut/Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.) (2008). Erkennen – Bewerten – Handeln: Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Berlin: RKI.

Sachverständigenkommission des 13. Kinder- und Jugendberichts (Hrsg.) (2010). Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen. Materialien zum 13. Kinder- und Jugendbericht. München: Deutsches Jugendinstitut.

Schlack, R., Kurth, B.-M. & Hölling, H. (2008). Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Daten aus dem bundesweit repräsentativen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Umweltmedizin in Forschung und Praxis 13(4), S. 245–260.

Stichnoth, H. (2018). Kommt das Geld bei den Kindern an? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

WSI – Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (Hrsg.) (2017). III. WSI-Kinderarmutsbericht: Kinderarmut & Flüchtlingskrise. WSI-Verteilungsmonitor. Special Feature. Zugriff am 21.11.2023 unter www.boeckler.de/pdf/wsi_vm_kinderarmut_2015.pdf.

Weiterführende Quellen

Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (o. J.). Werkbuch Präventionskette: Herausforderungen und Chancen beim Aufbau von Präventionsketten in Kommunen. Hannover und Köln. Zugriff am 21.11.2023 unter www.fruehehilfen.de/fileadmin/user_upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation_Werkbuch_Praeventionskette.pdf.

Internetadressen:

Good Practice-Kriterien: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/good-practice-kriterien

KiGGS-Studie: www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Kiggs/kiggs_node.html

Kindergesundheit: www.kindergesundheit-info.de/themen

Kinderstark. NRW schafft Chancen: www.kinderstark.nrw

Landesprogramm „Präventionsketten Hessen – Gelingendes Aufwachsen, Kinderrechte leben“ https://hage.de/arbeitsbereiche/gesundheitliche-chancengleichheit/praeventionsketten-hessen

Nationales Gesundheitsziel Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung: https://gvg.org/wp-content/uploads/2022/01/Nationales_Gesundheitsziel_Gesund_aufwachsen_2010.pdf

Präventionsketten Niedersachen: www.praeventionsketten-nds.de

Starke Kinder – chancenreich: Kommunale Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut in Baden-Württemberg: www.starkekinder-bw.de

Thüringer Präventionsketten: www.thueringer-praeventionsketten.de

Verweise:

Diversity und Diversity Management / Vielfalt gestalten, Gesundheitsförderung 1: Grundlagen, Gesundheitsförderung 2: Entwicklung vor Ottawa 1986, Gesundheitsförderung und soziale Benachteiligung / Gesundheitsförderung und gesundheitliche Chancengleichheit, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Präventionskette – Integrierte kommunale Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung und Prävention, Resilienz und Schutzfaktoren, Settingansatz/Lebensweltansatz, Wohlbefinden / Well-Being