Empowerment/Befähigung

Sven Brandes , Wolfgang Stark

(letzte Aktualisierung am 08.03.2021)

Zitierhinweis: Brandes, S. & Stark, W. (2021). Empowerment/Befähigung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i010-2.0

Zusammenfassung

Empowerment zielt darauf ab, Menschen zu befähigen, mittels Nutzung der eigenen personalen und sozialen Ressourcen, ihre soziale Lebenswelt und ihr Leben selbst zu gestalten. In Empowermentprozessen werden hierarchische oder paternalistischen Ebenen verlassen und die vorhandenen Stärken und Ressourcen der Menschen gesucht und betont. Ergebnisse gelungener Prozesse sind die Aufhebung von Ohnmacht und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Das Konzept entstammt der US-amerikanischen Gemeindepsychologie und beeinflusst heute die Gesundheitsförderung, Selbsthilfe, Psychiatrie, Jugendhilfe, Organisationentwicklung und Entwicklungszusammenarbeit.

Schlagworte

Empowerment, Befähigung, Partizipation, Kompetenzförderung, Salutogenese


Empowerment zielt darauf ab, dass Menschen die Fähigkeit entwickeln und verbessern, ihre soziale Lebenswelt und ihr Leben selbst zu gestalten und sich nicht von außen gestalten zu lassen. Fachkräfte der Gesundheitsförderung sollen durch ihre Arbeit dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die eine „Selbstbemächtigung“ der Betroffenen fördern und es ihnen ermöglichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies gilt für Menschen mit und ohne eingeschränkte(n) Möglichkeiten, für Erwachsene ebenso wie für Kinder.

Empowerment beschreibt Prozesse von Einzelnen, Gruppen und Strukturen, die zu größerer gemeinschaftlicher Stärke und Handlungsfähigkeit führen. Durch den Empowermentansatz sollen Personen(-gruppen) ermutigt werden, ihre eigenen (vielfach verschütteten) personalen und sozialen Ressourcen sowie ihre Fähigkeiten zur Beteiligung zu nutzen, um Kontrolle über die Gestaltung der eigenen sozialen Lebenswelt (wieder) zu erobern. Die jeweiligen Rahmenbedingungen der Personengruppen (das soziale und politische Umfeld) müssen stets mitgedacht werden, da sie das Vorhandensein und die Entwicklung von Ressourcen mitbestimmen. Die Förderung von Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger sowie Teilhabe und Gemeinschaftsbildung sind wesentliche Strategien des Empowermentprozesses.

Prozesse und Konsequenzen

Prozesse des Empowerments beziehen sich auf solidarische Aktionen zumeist von marginalisierten Personen und Gruppen. Durch gegenseitige Unterstützung und soziale Aktion sollen diskriminierende Lebensbedingungen überwunden werden. Ergebnisse dieser Prozesse sind meist die Aufhebung von Ohnmacht und ein gestärktes Selbstbewusstsein der Betroffenen – also eine Art Umverteilung von Macht im Kleinen. Empowermentprozesse selbst finden meist ohne professionelle Unterstützung statt. Im Hinblick auf eine mögliche Förderung dieser Prozesse sollten sich professionell oder freiwillig Engagierte folgende Fragen stellen:

  • Unter welchen Bedingungen gelingt es Menschen, eigene Stärken zusammen mit anderen zu entdecken?
  • Was trägt dazu bei, dass Menschen aktiv werden und ihre eigenen Lebensbedingungen gestalten und kontrollieren?
  • Was können Professionelle dazu beitragen, um verschiedene Formen von Selbstorganisation zu unterstützen? Wie können sie ein soziales Klima schaffen, das Prozesse des Empowerments unterstützt?
  • Welche Konsequenzen haben solche Erfahrungen auf die beteiligten Menschen, Organisationen und Strukturen?

Empowerment als Grundlage für ein Konzept und eine Praxis der Gesundheitsförderung hat weitreichende Konsequenzen für ein professionelles und freiwilliges Engagement im psychosozialen und Gesundheitsbereich – besonders im Bereich präventiver Ansätze. Es verlässt die hierarchische oder paternalistische Ebene vieler sozialer und gesundheitlicher Dienstleistungen, die Hilfe für andere als Hilfe und Fürsorge für Schwächere ansieht. Empowerment sucht und betont die vorhandenen Stärken und Ressourcen (Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung), v. a. die Rechte von Hilfe- und Ratsuchenden, die in der traditionellen sozialen und gesundheitsbezogenen Arbeit oft vernachlässigt werden.

Ursprung und Einzug des Konzeptes in die Gesundheitsförderung

Das Empowermentkonzept stammt aus der amerikanischen Gemeindepsychologie (Rappaport 1985; Kieffer 1984). Heute ist es nicht nur in der Gesundheitsförderung, in der Selbsthilfe, in der Psychiatrie oder in der Jugendhilfe, sondern auch in der modernen Organisationsentwicklung ein einflussreiches Konzept. In der Entwicklungsarbeit („Dritte-Welt-Arbeit“) sind Prinzipien des Empowerments für Prozesse des „community building“ wichtig. Auch die weltweite NGO-Bewegung (NGO = Non-Governmental Organizations = Nicht-Regierungs-Organisationen) verwendet den Begriff in vielen Zusammenhängen.

Seit der Alma-Ata-Erklärung und der Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung stellt Empowerment ein zentrales Konzept der WHO-Vision von Gesundheitsförderung dar. Obwohl das Wort in der Ottawa-Charta nicht fällt, ist die Nähe zum Empowermentansatz unübersehbar. Die Ottawa-Charta benutzt den Begriff „befähigen“ und nennt als wichtige Voraussetzung für körperliches und seelisches Wohlbefinden die Fähigkeiten und Möglichkeiten einer Person, ihr eigenes Leben selbst zu kontrollieren (SalutogeneseGesundheitsförderung 1: Grundlagen). Dort heißt es: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können.“ (WHO 1986, S. 1)

Bedingungen, Strukturen und Handlungslogiken

Die Definition von Empowerment lässt sich zunächst eher über das Gegenteil erschließen: Machtlosigkeit, erlernte Hilflosigkeit, Entfremdung und Kontrollverlust sind Begriffe, die in der psychosozialen Arbeit sehr viel häufiger gebraucht werden als ihre positiven Gegenteile. Es lassen sich jedoch Bedingungen, Strukturen und Handlungslogiken beschreiben, unter denen es Professionellen gelingen kann, Prozesse des Empowerments auf verschiedenen Ebenen zu fördern (Lenz 2011; Miller, & Pankofer 2000), vielleicht sogar anzustoßen. Fachkräfte für Gesundheitsförderung können für die Wahrnehmung von Empowermentprozessen im Alltag sensibel werden und sie gezielt fördern durch

  • Bereitstellung von instrumentellen Hilfen (Räume, Finanzen etc.),
  • Befähigung zur Reflexion von Problemen, Bedürfnissen und Ressourcen,
  • Aufzeigen oder Schaffen von Handlungsspielräumen,
  • Anbieten von Orientierungshilfen und Erschließen von Informationsquellen,
  • Unterstützung bei der Erarbeitung von Entscheidungen, Lösungen und Zielen,
  • Unterstützung von Selbstorganisation und Selbsthilfe,
  • Mediation und
  • sozialpolitische Einflussnahme.

Praktisch angewendet werden an Empowerment orientierte Handlungslogiken etwa in einem globalen Netzwerk für Empowermentprozesse. Hier wird kollektives Erfahrungswissen systematisch für gesellschaftliche Innovationen genutzt (siehe Internetadressen).

Das Gelingen von Empowermentprozessen erfordert die Entwicklung eines sozialen Klimas und einer „nicht technizistischen“ professionellen Grundhaltung. Diese umfasst u. a.

  • Ressourcen- und Kompetenzorientierung,
  • Prozessorientierung,
  • Zielorientierung,
  • Optimismus,
  • Bereitschaft zu gleichberechtigten Arbeitsbeziehungen,
  • Bereitschaft, Vertrauen entgegenzubringen und die
  • Bereitschaft, Verantwortung und Kontrolle abzugeben.

Empowermentprozesse anstoßen

Der Anstoß von Prozessen des Empowerments durch Professionelle erfolgt durch die Verknüpfung von Ressourcen auf der individuellen und der Gruppenebene. Dabei müssen Professionelle darauf achten, die dafür fördernden Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen oder zu entwickeln, jedoch sich selbst nicht oder nur sehr vorsichtig in den Prozess einzumischen. Diese Haltung einer „Arbeit am und im sozialen Kontext“ verbessert für Fachkräfte der Gesundheitsförderung die Möglichkeiten, Betroffene selbst ihre Interessen vertreten zu lassen – und nicht diese Interessen für die Betroffenen zu vertreten (Anwaltschaft – Vertretung und Durchsetzung gesundheitlicher Interessen; Lebenskompetenz und Kompetenzförderung). Im Gesundheitswesen hat sich der Begriff „patient empowerment“ etabliert. Damit sollen für schon im Gesundheitswesen versorgte Personen verbesserte Information, höhere Transparenz und stärkere Mitwirkungschancen erreicht werden.

Um Prozesse des Empowerments anzustoßen, ist es prinzipiell wichtiger, Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Mit einer Frage wird die Neugier der Befragten angeregt und ein Prozess des „Suchens“ ausgelöst. Diese Aktivierung zieht Kreise, denn ein Suchprozess ist nicht denkbar ohne Kontakt zu anderen Personen oder Gruppen. Diskussionen und Erfahrungsaustausch werden notwendig und stecken möglicherweise andere an. Solche Prozesse geschehen häufig in Gesundheitsselbsthilfegruppen (Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeförderung), deren Mitglieder über die eigene Betroffenheit hinaus die Notwendigkeit erkennen, sich mit gesundheits- und versorgungspolitischen Fragestellungen zu beschäftigen. Die professionelle Arbeit mit partizipativen Methoden (wie etwa Zukunftswerkstätten, Photo-Voice, aktivierende Befragungen, Nutzerbeiräte, Methode des Open Space) kann diese Entwicklungen befördern.

Kritik wird im Hinblick auf den Empowermentbegriff geäußert, dass seine Konzeption relativ unbestimmt und uneinheitlich ist. Es existieren jedoch einige Bemühungen, das Empowermentkonzept zu schärfen und von benachbarten Konzepten wie der Partizipation und der Capacity Building/Kapazitätsentwicklung abzugrenzen. Durch Offenlegung der verschiedenen Verständnisse und Dimensionen soll das Konzept einer zielgerichteten Umsetzung und Evaluation besser zugänglich gemacht werden (Loss 2008; Kliche, & Kröger 2008; Brandes, & Reker 2009; Stark 2020).

Literatur:

Brandes, S., Reker, N. (2009). Empowerment systematisch entwickeln. Ein Hilfsmittel für qualitätsorientierte Teamprozesse. Info_Dienst für Gesundheitsförderung,1, 7–8.
WHO (1986). Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. Zugriff am 08.03.2021 unter www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf.
Kieffer, C. (1984). Citizen empowerment: A developmental perspective. In: Rappaport, J., Swift, C., & Hess, R. (Hrsg.). Studies in Empowerment. Haworth: New York.
Kliche, T., Kröger, G. (2008). Empowerment in Prävention und Gesundheitsförderung – Eine konzeptkritische Bestandsaufnahme von Grundverständnissen, Dimensionen und Erhebungsproblemen. Gesundheitswesen, 70(12): 715–720.
Lenz, A. (2011). Empowerment. Handbuch für die ressourcenorientierte Praxis, Tübingen: dgvt-Verlag.
Loss, J. (2008). Der Empowerment-Ansatz: unscharf, unbequem, unberechenbar – und unentbehrlich. Gesundheitswesen, 70(12): 713–714.
Miller, T., Pankofer, S. (2000). Empowerment konkret – Handlungsentwürfe und Reflexionen aus der psychosozialen Praxis, Berlin: De Gruyter Oldenbourg.
Rappaport, J. (1985). Ein Plädoyer für die Widersprüchlichkeit – ein sozialpolitisches Konzept des Empowerments anstelle präventiver Ansätze. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 2 (17): 257–278.
Stark, W. (2020). Empowerment reloaded – ein neuer Blick auf Empowermentprozesse vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit und Bürger*innenbeteiligung. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 1(2020): 51–63.

Weiterführende Quellen:

Blank, B. (2012). Die Interdependenz von Ressourcenförderung und Empowerment. Opladen, Berlin & Toronto: Budrich UniPress.
Keupp, Heiner (1993). Die (Wieder)-Gewinnung von Handlungskompetenz. Empowerment in der psychosozialen Praxis. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 25 (3), 365–381.
Lenz. A., Stark, W. (2002). Empowerment – Perspektiven für psychosoziale Praxis und Organisation, Tübingen: dgvt-Verlag.
Schuler, D. (2008). Liberating Voices. A Pattern Language for communication Revolution. Cambridge: MIT Press.
Stark, W. (1996). Empowerment – Neue Handlungskompetenzen in der psychosozialen Praxis, Freiburg: Lambertus.
Stark, W. (2000). Wie Menschen stärker werden. Focus – Schweizerische Zeitschrift für Gesundheitsförderung, (3) 12–16.

Internetadressen:

„Das Gesundheitswesen“ (2008). Schwerpunktheft der Zeitschrift zu Empowerment in der Gesundheitsförderung 2008. Online verfügbar unter www.thieme-connect.com/products/ejournals/issue/10.1055/s-002-14193 (Zugriff am 08.03.2021)
Deutsches Netzwerk für Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Krankenhaus: www.selbsthilfefreundlichkeit.de
Globales Netzwerk für empowerment-orientierte Gruppenprozesse: http://publicsphereproject.org
Netzwerk für Sozialunternehmer*innen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit: www.siemens-stiftung.org/projekte/empowering-people-network
Patient Empowerment Network: https://powerfulpatients.org

Verweise:

Anwaltschaft - Vertretung und Durchsetzung gesundheitlicher Interessen, Capacity Building / Kapazitätsentwicklung, Gesundheitsförderung 1: Grundlagen, Lebenskompetenzen und Kompetenzförderung, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Salutogenese, Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeförderung