Capacity Building / Kapazitätsentwicklung

Stefan Nickel , Alf Trojan

(letzte Aktualisierung am 18.01.2024)

Zitierhinweis: Nickel, S. & Trojan, A. (2024). Capacity Building/Kapazitätsentwicklung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i007-3.0

Zusammenfassung

Capacity Building bezeichnet eine nachhaltige Struktur- und Kompetenzentwicklung zur effektiven Verbesserung der Gesundheit. Es umfasst Maßnahmen auf drei Ebenen: Wissen und Fähigkeiten bei gesundheitsfördernden Aktivitäten, Infrastrukturen zur Gesundheitsförderung in Organisationen und partnerschaftliche Kooperationen in Gemeinschaften. Neben der Kompetenzentwicklung ist damit auch die Strukturentwicklung ein wesentlicher Aspekt des Capacity Buildings. Der kombinierte Ansatz eignet sich deshalb auch als Evaluationsinstrument für langfristige Maßnahmen aus dem Settingansatz/Lebensweltansatz und kann – bei methodisch richtiger Anwendung – als Maß für den Erfolg komplexer Gesundheitsförderungsprogramme dienen.

Schlagworte

Strukturentwicklung, Kompetenzentwicklung, Nachhaltigkeit, Empowerment, Evaluation


Capacity Building bedeutet den Aufbau von Wissen, Fähigkeiten, Engagement, Strukturen, Systemen und Führungsqualitäten, um effektive Gesundheitsförderung zu ermöglichen. Kapazitätsentwicklung umfasst Aktionen zur Verbesserung der Gesundheit auf drei Ebenen (Smith, Tang & Nutbeam 2006):

  • Weiterentwicklung von Wissen und Fähigkeiten bei gesundheitsfördernden Tätigkeiten.
  • Ausdehnung der Unterstützung und Infrastrukturen der Gesundheitsförderung in Organisationen.
  • Entwicklung des Zusammenhalts und der partnerschaftlichen Kooperation zur Gesundheit in Gemeinschaften.

Capacity Building wird in Deutschland oft – einengend, aber dennoch zu umständlich – als „Struktur- und Kompetenzentwicklung“ übersetzt. Es ist hierzulande bisher kaum als Konzept genutzt worden. Viel bekannter ist das inhaltlich ähnliche Konzept von Empowerment/Befähigung.

Capacity Building und Empowerment

In der Ergänzung des WHO-Glossars wird Capacity Building nicht von dem Konzept Empowerment abgegrenzt (Smith, Tang & Nutbeam 2006, S. 341 f.). Die Formulierungen legen nahe, dass Aktivitäten und Prozesse des Capacity Buildings wie auch des Empowerments letztendlich zu den gleichen Ergebnissen führen: zu Gemeinden/Stadtteilen, die auf die Bedürfnisse ihrer Bewohnerschaft eingehen sowie die erforderliche soziale und politische Unterstützung besitzen, um Programme erfolgreich umzusetzen. Als Unterschied kann allenfalls unterstellt werden, dass Empowerment mehr die politische Befähigung sozial Benachteiligter anspricht, während der Akzent bei Capacity Building mehr auf den pragmatischen Lernprozess und die Strukturentwicklung eines Gemeinwesens fokussiert.

Seit einigen Jahren wird Capacity Building als Erklärungsmodell und Zielgröße für Gesundheitsförderung aufgeführt (Walter & Schwartz 2003).

Geschichte des Begriffs Capacity Building

Bereits aus dieser kurzen Herleitung wird die Komplexität des Konzepts deutlich, aber auch seine grundsätzliche Eignung als Erfolgsindikator für setting- bzw. lebensweltbezogene Ansätze der Gesundheitsförderung. Dadurch, dass es sowohl die individuellen als auch die organisatorischen/gemeinschaftlichen Elemente des Empowermentkonzepts mit dem Communitykonzept verbindet, stellt es eine Ergänzung der Modelle rein individuellen Gesundheitsverhaltens dar.

Die Wurzeln des Ansatzes reichen bis in die amerikanische Gemeindepsychologie der 1970er-Jahre zurück und wurden stark im Zusammenhang mit internationalen Entwicklungsprojekten konzipiert. Eine Übertragung in das Feld von Public Health und/oder gemeindenaher Gesundheitsförderung erfolgte erst seit den 1990er-Jahren (Gesundheitsbezogene Gemeinwesenarbeit).

In der Gesundheitsförderungsstrategie der WHO taucht der Ausdruck Capacity Building zum ersten Mal in der Jakarta-Erklärung „Neue Akteure für eine neue Ära – Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert“ auf (WHO 1997). Als vierte Priorität werden dort die Förderung von Kompetenzen der Gemeinden/Stadtteile und die Befähigung der Einzelnen genannt. Der Akzent liegt im erläuternden Text vor allem auf dem Aufbau von Partnerschaften für Kooperation und der Mobilisierung von Wissen, Fähigkeiten und Ressourcen. In dem kurz darauf erschienenen „Health Promotion Glossary“ hat Capacity Building noch keinen eigenständigen Eintrag, wird aber im Kontext der „intermediären“ Gesundheitsergebnisse erwähnt (WHO 1998).

Ein jüngerer systematischer Review basiert auf 17 internationalen Studien, in denen Capacity Building als Indikator nachhaltiger Strukturbildung und Kompetenzentwicklung größere Beachtung erhalten hat (Liberato, Brimblecombe, Ritchie, Ferguson & Coveney 2011). Einerseits wird die Vielfalt des Konzepts in diesem Review systematisch zusammengefasst, zudem werden die erheblichen Unterschiede der Operationalisierung (Messbarmachung) in den verschiedenen Projekten und Programmen aufgezeigt. Andererseits wird über die mangelnde Evidenzlage in den Studien berichtet, insbesondere bei dem Versuch, Capacity Building langfristig zu messen und den vermuteten Zusammenhang mit gesundheitlichen Outcomes nachzuweisen. Dabei geht es auch darum, die Gültigkeit und Zuverlässigkeit quantitativer Daten zu überprüfen und die „Glaubwürdigkeit“ qualitativer Erhebungen zu berücksichtigen.

Fünf grundlegende Elemente von Capacity Building

In der heutigen Theorie und Forschung lassen sich mindestens fünf grundlegende Elemente von Capacity Building identifizieren, die sich als Gemeinsamkeit sehr verschiedener Definitionsversuche herauskristallisiert haben:

  • Unterstützung von Prozessen der partizipativen Einbindung von Gemeindemitgliedern in gemeinschaftliche Aktionen.
  • Kompetenz/Befähigung von zumeist professionellen Akteurinnen und Akteuren, verschiedene Formen von Selbstorganisation zu unterstützen („Leadership“).
  • Vorhandene Ressourcen in einem Sozialraum (z. B. Fähigkeiten und Fertigkeiten der Gemeindemitglieder, gut verankerte Organisationen, Zugang zu finanziellen Mitteln).
  • Beziehungsnetzwerke zwischen Organisationen oder Personengruppen (sowohl formell-instrumentell als auch informell und emotional).
  • Aufbau von Angeboten der Gesundheitsförderung (einschließlich der Überwindung von Zugangsbarrieren sowie Angebote für schwer erreichbare Zielgruppen).

Praktische Einbindung und Umsetzung von Capacity Building

Hinsichtlich seiner praktischen Einbindung und Umsetzung in die Gesundheitsförderung hat sich das Konzept vor allem im Rahmen der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung (Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement) und Evaluation langfristiger Interventionen bewährt. Es erfüllt nach Stockmann (2000) vier wesentliche Aufgaben der Evaluation: Erkenntnis-, Kontroll-, Dialog- und Legitimationsfunktion. Dabei können verschiedene Messmethoden ins Auge gefasst werden, insbesondere Expertinnen- und Experteninterviews, Fokusgruppen, Surveys sowie Dokumenten- und Sekundäranalysen. Wer dabei die Einschätzungen der Ausgangssituation und der späteren Veränderungen vornimmt, ist nicht genau festgelegt. In jedem Fall sollte es die Gemeinde – seien es Vertreterinnen und Vertreter formaler Organisationen oder auch nur lose organisierte Personengruppen – möglichst weitgehend selbst tun.

Für die Visualisierung der Ergebnisse eignet sich die Darstellung in Form von Spinnennetzdiagrammen (vgl. Abb. 1). Beispiele guter Praxis liegen sowohl für sozial benachteiligte Quartiere im großstädtischen Raum (siehe etwa die Gesundheitsförderungsprogramme „Lenzgesund“ in der Lenzsiedlung/Hamburg oder „Bewegtes Leben im Quartier“ in Marzahn-Nord/Berlin) als auch für gemeindenahe Gesundheitsförderungsaktivitäten in eher ländlichen Gebieten („Gesunde Gemeinde Karlshuld“ in Bayern; „Lebenswerte Lebenswelten für ältere Menschen“ in der Steiermark/Österreich) vor.

Evaluative Anwendung des Konzepts Capacity Building

Die Grenzen der evaluativen Anwendung des Konzepts sind eng mit den Zugangsweisen verknüpft, die sich auf unterschiedliche Systembereiche beziehen. Dazu gehört an erster Stelle die weit verbreitete expertinnen- und expertendominierte Einschätzung von Community Capacities, wobei die Expertinnen, Experten sowie Schlüsselakteurinnen und -akteure oft stark in den Handlungsprozess involviert sind und daher letztlich ihre eigene Arbeit bewerten. Dieser Sachverhalt spricht für die generelle Notwendigkeit, verschiedene Instrumente und Methoden bei der Evaluation von Prävention und Gesundheitsförderung einzusetzen.

Ein zweites Hauptproblem besteht darin, dass der Gesundheitsbezug lediglich in einer Dimension – und auch dort nur in sehr allgemeiner Weise – konzipiert ist. Ein darauf aufbauendes Evaluationsinstrument ist somit nicht geeignet zur Messung der Wirkung von Gesundheitsförderungsprogrammen, die auf einzelne Risikobereiche (etwa Ernährung, Bewegung etc.) oder auf die Verhaltensprävention bei einzelnen Zielgruppen ausgerichtet sind. Auch der betrachtete Sozialraum darf nicht zu klein sein, da einige Dimensionen sich deutlich auf ein komplexes soziales Gebilde mit verschiedenen Funktionen für die Bewohnerschaft beziehen (Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung, medizinische Versorgung, Jugendarbeit etc.). Die untere Grenze der Anwendbarkeit dürfte bei ca. 3.000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegen.

Fazit

Trotz der geschilderten Einschränkungen und Probleme ist Capacity Building (verstanden als nachhaltige Strukturbildung und Kompetenzentwicklung) im Prinzip gut geeignet als allgemeiner, „intermediärer“ Erfolgsindikator komplexer Gesundheitsförderungsansätze. Besteht Konsens über die relevanten Dimensionen des Konzepts, lassen sich auch in ihrer Akzentsetzung völlig unterschiedliche settingbezogene Projekte oder Programme miteinander vergleichen. Die methodischen Probleme sind allerdings nicht unerheblich.

Der Stellenwert des hier vorgestellten Konzepts für Zwecke von einerseits Evaluationsforschung und andererseits kontinuierlicher Qualitätsentwicklung (Evaluation) kann erst auf der Basis weiterer Erprobung und wissenschaftlicher Analysen beurteilt werden.

Literatur:

Liberato, S. C., Brimblecombe, J., Ritchie, J., Ferguson, M. & Coveney, J. (2011). Measuring capacity building in communities: A review of the literature. BMC Public Health, 11, S. 850–850. https://doi.org/10.1186/1471-2458-11-850.

Smith, B. J., Tang, K. C. & Nutbeam, D. (2006). WHO health promotion glossary: New terms. Health Promotion International, 21(4), S. 340–345. doi.org/10.1093/heapro/dal033.

Stockmann, R. (2000). Evaluation in Deutschland. In: R. Stockmann (Hrsg.). Evaluationsforschung: Grundlagen und ausgewählte Forschungsfelder (S. 11–40). Opladen: Springer VS.

Trojan, A., Süß, W., Lorentz, C., Nickel, S. & Wolf, K. (Hrsg.) (2013). Quartiersbezogene Gesundheitsförderung. Umsetzung und Evaluation eines integrierten lebensweltbezogenen Handlungsansatzes. Weinheim: Beltz Juventa.

Walter, U. & Schwartz, F. W. (2003). Prävention. In: F. W. Schwartz (Hrsg.). Das Public Health Buch. Gesundheit und Gesundheitswesen (S. 189−191). München und Jena: Urban & Fischer.

WHO (Hrsg.) (1997). Die Jakarta Erklärung zur Gesundheitsförderung für das 21. Jahrhundert. Gamburg: Verlag für Gesundheitsförderung.

WHO (Hrsg.) (1998). Health Promotion Glossary. Geneva: World Health Organization.

Verweise:

Empowerment/Befähigung, Evaluation, Gesundheitsbezogene Gemeinwesenarbeit, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement